Freiheit – Denunziationswesen

„Was wir heute besitzen ist gleichgültig, wichtig ist nur, dass Deutschland siegt!“

„Ein kurzer Brief vom 04. Mai 1938: Vom „Verkehr mit Juden“ bis hin zu „Dorftratsch schlimmster Art“ berichtet er der NS-Geheimpolizei und zerstört so ganze Existenzen; auch die von NSDAP-Mitgliedern. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr!“

„Gemeines Schwein, aus SA u. Partei zu entfernen.“ Starke Worte, die Lehrer P. aus einem Nachbarort da in seinen Briefentwurf schreibt. Adressat ist der „Kriminalassistent H.“, Beamter der Geheimen Staatspolizei (Gestapo).

Lehrer P. schreibt „über die Verhältnisse in Offenbach“. Von ihm kamen schon mehrere Briefe. Er hätte den Kriminalassistenten warten lassen müssen, „weil ich mir…ein einwandfreies Bild verschaffen wollte.“

Nach „eingehender Überprüfung“ bezeichnet er andere als „undeutsche Charakter“, als „gemeinster Gegner des Nationalsozialismus“ oder schlicht als „Schwein“. Selbst der Küster der Abteikirche wurde angeschwärzt. Acht Überschriften folgten; für jeden Punkt findet er nur wenige Worte. Manche Sätze haben kein Verb und sind für Außenstehende unverständlich; Lehrer P. und Kriminalassistent H. kennen sich offensichtlich. Sie brauchen deshalb wenige Worte. Die Themen sind:

  1. Protestantische und katholische Geistliche;
  2. die Ortsgruppenleitung der NSDAP,
  3. Beobachtungen an der Wahl 1938
  4. Verkehr mit Juden

Die vier restlichen Punkte betreffen Einzelpersonen.

Bei der Wahl weiß der P., was und wie der katholische Priester und sogar seine Magd gewählt haben („Nichtwähler!“); Er weiß, wer Kontakt zu Juden hat; der kleine Händler L. etwa, der wohl „Generalvertreter“ eines „Tabakjuden aus Meisenheim“ sein soll. Ein „Hausierjude“ soll ferner mit dem Deutschen H. verkehrt haben…

Der Vorsitzende des örtlichen Gesangvereins wird scharf kritisiert. Das bleibt für diesen als Gastwirt nicht folgenlos: Er wird von der Gestapo verhört (die für ihre grausamen Verhörmethoden berüchtigt war); sein Lokal wird überwacht (wobei sich ein Schumacher durch besondere Spitzeldienste hervortat). Zusätzlich wird ihm mit KZ gedroht: „Nun wird A., Offenbach, u.a.m. bald folgen“.

Von Solidarität unter den Nationalsozialisten ist bei P. nichts zu spüren. „Der Ortsgruppenleiter ist schuld!“, die in der NS Frauenschaft aktive Gattin eines glühenden Parteigenossens („Pg.“) ist „abzusetzen; Dorftratsch schlimmster Art“. Selbst davor, die Bestrafung eines Lehrerkollegens zu empfehlen, schreckt P. am Briefschluss nicht zurück: Ich empfehle die Versetzung von K. u. scharfe Zurechtweisung durch den Schulrat!“ Erschreckend ist, wie leichtfertig er Existenzen anderer mit Worten wie „absetzen, aus SA und Partei entfernen…“ gefährdet.

Das steht für ein Klima der Angst: selbst der beliebteste Pg. weiß nie, was andere über ihn berichten; wer traut sich noch, etwas in einem jüdischen Geschäft zu kaufen, wenn das bis zur Gestapo nach Idar-Oberstein kommt. Ein Gegner der NSDAP beschreibt P. deshalb nach dem Krieg als „Gestapo Spitzel“.

Erschreckend sind die schlechten Ausdrucksformen des Briefes. Viele seiner eigenen Sätze hätte Lehrer P. wohl rot angestrichen, wenn es sich um eine Deutscharbeit seiner eigenen Schüler gehandelt hätte. Solche kleinen Leute, die einmal in ihrem Leben Macht erfahren wollten, machten die Schreckensherrschaft des NS-Regimes erst möglich!

Lars Hülser