Der alte Judenfriedhof

„… und ruhe, dass du aufstehest … am Ende der Tage“ – Der alte jüdische Friedhof Offenbachs

von Gerhard Voß

Der einsame Wanderer, der sich während der Sommermonate, wenn die Natur ihr üppigstes Kleid trägt, über verhältnismässig steil ansteigende Waldwege oder auf verschlungenen Bergpfaden hinauf bemüht in das Gebiet oder die Gemarkung „Oberster Frimschenberg“ beziehungsweise „Auf’m Halsloch“, von den Offenbacher Kirchen aus etwa in nördlicher Richtung gelegen, bemerkt da oben möglicherweise nichts Besonderes. Nur Laub- oder Nadelbäume säumen den Weg, auch Sträucher und Gestrüpp, Dornen, Kräuter und Gräser, Brennessel. Da und dort lässt ein Vogel seine Stimme erschallen, ein Eichelhäer warnt die Tierwelt vor dem herannahenden Menschen. Im Unterholz bewegt sich eine Amsel, es raschelt. Hoch oben zieht ein Bussard seine Kreise. Man sieht ihn nicht, hört aber seine Schreie. Ein Rudel Rehe überquert den einsamen Pfad und verschwindet im Dickicht. Durch die Baumkronen fährt ein Windhauch. Sonst herrscht Stille ringsumher. Nicht einmal die Zivilisationsgeräusche dringen bis in diese Einsamkeit. Das ist noch Natur im Urzustand.

von Kurt Werner Augenstein

Wäre der Wanderer dort oben etwa im zeitigen Frühjahr, wenn nämlich der Blick weit durch das Unterholz reicht, seines Weges gegangen, so hätten sicherlich verschiedene Anzeichen seine Aufmerksamkeit erregt. Hier war einst Menschenhand am Werk gewesen. Eine Trockenmauer, kaum noch einen Meter hoch, zeigt sich. Innerhalb der Einfriedung liegen oder stehen, zumeist bedenklich schief, bemooste und verwitterte Steinplatten.

Bei näherem Hinsehen erkennt selbst der Laie, dass es sich um Grabsteine oder Grabmäler aus Sandstein handelt. Teilweise ist die vor über 100 Jahren eingemeisselte Schrift noch lesbar, sofern man die hebräischen Zeichen überhaupt zu lesen vermag. Da ist es gut, dass einige Steine beidseitig beschriftet sind. Auf der Vorderseite steht in hebräisch, auf der Rückseite in deutsch:

Hier ruht
Babette Simon
gest. 1886
im 88ten Lebensjahr
Hier ruht in Frieden
Jacob Lazarus
geb. den 8. Februar 1801
gest. den 1. Dezember 1882

 

Hier ruht zum ewigen Frieden
Jacob Loeb aus St. Julian
gestorben am 28. Mai 1878
im Alter von 69 Jahren
Hier
ruht zum ewigen Schlafe
Marianne lsaak
geb. Wohlgemuth
geb. 5. Feb. 1812
gest. 19. Apr 1890

Hoch über Offenbach und weitab vom Ort also befindet sich mitten in reiner Natur, an einem Platz, der wie geschaffen zu sein scheint für die „ewige Ruhe“, „einer der ältesten jüdischen Friedhöfe des Rheinlandes“.“

Möglicherweise handelt es sich auch um einen der größten in der näheren und weiteren Umgebung. Immerhin dürften auf diesem Offenbacher Friedhof schätzungsweise um die 200 bis 250 Männer, Frauen und Kinder jüdischen Glaubens bestattet worden sein. Eines der jüngsten Gräber stammt aus dem Jahre 1890, das älteste ist nicht mehr auszumachen, es könnte aber wenigstens 300 Jahre alt sein.

Die Mauern der Friedhofsanlage haben einen Umfang von 211 Metern und schliessen eine im ganzen sehr unregelmässige sowie verhältnismässig steil ansteigende Fläche von 2.355 Quadratmetern Grösse ein. Die mittlere Länge dieses Areals misst etwa 73,5 m, die mittlere Breite 32 m.

 

Ein wohl einmaliges kulturhistorisches jüdisches Zeugnis, im Verborgenen gelegen, erschliesst sich hier dem aufmerksamen Wanderer.

Grabstein auf dem alten jüdischen Friedhof von K.W. Augenstein

Im oberen beziehungsweise nördlichsten Teil des Friedhofes befinden sich zweifellos die ältesten Grabstätten. Man erkennt das am Grad des Verfalls und an der nur in Hebräisch gehaltenen Beschriftung der Grabsteine. Weiter nach unten zu, also im südlichen Teil der Anlage, nimmt die Zahl der erkenn- und auch lesbaren Schriften zu. Das kann nur bedeuten, dass der Verfall hier noch nicht so weit fortgeschritten ist. Ausserdem mehren sich die Steine mit zweisprachiger Beschriftung, was auf die Zeit der Emanzipation der Juden hindeutet und wohl ein Zugeständnis an die christlichen Mitbürger war. Auch ihnen sollte die Möglichkeit eröffnet werden, die Ruhestätten ihrer jüdischen Freunde und Nachbarn zu besuchen und zu finden.

Im südlichen Friedhofsteil ist schliesslich noch eine gewisse Anordnung der Gräber in Reihen zu erkennen, während man von der oberen Hälfte eher den Eindruck mitnimmt, dass die Toten dort mehr auf recht willkürlich ausgewählten Flächen beigesetzt worden sind. Dort war anfangs reichlich Platz vorhanden. Aber je weiter man nach unten kam, desto enger wurde es. Eine ordnende Hand war vonnöten sowie eine rechtzeitige Umschau nach einem neuen Friedhofsgelände.

Obwohl die Friedhofsmauer weitgehend eingefallen ist, erkennt man noch heute, dass sie zwei Eingänge beziehungsweise Tore hatte. Der wohl am häufigsten genutzte Zugang befand sich an der Südwestecke. Dort endet der aus Richtung Offenbach herführende Weg, dem früher die Leichenprozessionen jeweils folgten.

Ein zweites Tor gab es in der Nordmauer. Es diente bei den ersten Bestattungen als Zugang und wurde wahrscheinlich über einen Pfad erreicht, der sich in der Südwestecke an den Weg anschloss und aussen an der ganzen Westmauer entlangführte.

Möglicherweise transportierte man durch das Nordtor die Grabmäler und Grabsteine, die in den Steinbrüchen, die nördlich der Friedhofsanlage liegen, gewonnen und bearbeitet wurden.

Friedhofswege innerhalb der Mauern sind so ohne weiteres nicht zu erkennen. Wenn es überhaupt einen Weg gab, dann wäre er vom Gelände her allenfalls entlang der inneren Westmauer denkbar. Von dort aus könnten im rechten Winkel kleinere Stichwege zur gegenüberliegenden Ostmauer geführt haben. Sicher ist das jedoch nicht. Wollte man sich über diese Frage Gewissheit verschaffen und womöglich auch noch eine genaue Bestimmung des Friedhofalters an Ort und Stelle vornehmen, so wäre dies wohl ohne eine erhebliche Störung des Friedens dieser Stätte nicht möglich. Man sollte also nicht gegen jüdische Gesetze und Glaubensauffassungen verstossen. Nach diesen wird nämlich jeder Verstorbene auf seinem eigenen Grund und Boden beigesetzt. Jeder der hier bestatteten ca. 250 Menschen jüdischen Glaubens hat also seinen ureigenen Platz auf diesem Friedhof. Es ist nicht gestattet, die Gräber einzuebnen oder gar aufzuheben. Das Recht der Toten auf ihre ungestörte und unantastbare Ruhestätte besteht unaufhörlich, also bis ans „Ende der Tage“.

von K.W. Augenstein

von K.W. Augenstein

Jüdische Gräber sind zumeist schmucklos und wirken sogar wenig gepflegt. Grabstätten jüngeren Datums werden allenfalls einmal im Jahr von den Verwandten aufgesucht, für gewöhnlich am Sterbetag des Beigesetzten. Jüdische Friedhöfe sollen nämlich nicht wie auf „Hochglanz“ gepflegt aussehen, sondern als Teil der Natur auf die Vergänglichkeit alles Lebenden hinweisen, so wie es der von Offenbach tatsächlich tut. Dort breitet bereits die Natur ihren Mantel aus, um die Verstorbenen und ihre Gräber heimzuholen. Und vielleicht schon in einhundert Jahren dürfte der Wanderer, der über den Obersten Frimschenberg seines Weges geht, nichts mehr sehen vom alten jüdischen Friedhof in Offenbach am Glan. Denn dann wird Gott Jahwe seine Kinder endgültig zu sich geholt haben.