Der Fromme: Das Geschäft der Familie von David Levy

Familienvater: Der Name „David Levy“ (1875–1930) ist noch heute durch den neuen Anstrich über der Eingangstür des ehemaligen Geschäftes zu erkennen. Der Kaufmann handelte mit Textilien, Lebensmitteln und Kurzwaren. Im ersten Weltkrieg verlor er ein Bein und erhielt das Eiserne Kreuz 2. Klasse.

Das Haus der jüdischen Familie Levy – das Dach wurde erst später ausgebaut.

Weitere Familienmitglieder: Seine Frau Flora Levy (*1879) trug die Hauptlast des Geschäftes. Mit ihnen lebten zwei Söhne: Kurt (*1908) und Oskar (*1911). An Kurt Levy, der im Geschäft bediente, haben Offenbacher noch viele Erinnerungen. Ein großer, freundlicher Mann sei er gewesen und verheiratet. Er besuchte erst ab 1919 die Offenbacher Volksschule, was G. Voß vermuten lässt, dass er vorher noch zu den letzten Schülern der jüdischen Schule gehörte. Diese befand sich neben der Synagoge. Kurt besuchte ab 1920 die Lateinschule in Meisenheim.

Besondere Erinnerungen: Vater David Levy spielte in der jüdischen Gemeinde eine wichtige Rolle. Er hatte das Amt des Vorbeters inne. Ein Vorbeter versteht nicht nur Hebräisch, sondern kann hebräisch sprechen und singen. Jeden Freitag schlachtete er in den Metzgereien Ruby und Seifert das Vieh für seine jüdischen Mitbürger.

Damals konnten viele Familien ihre Kleider nur auf Raten kaufen. Die Familie Levy galt als besonders hilfsbereit. Sie waren nicht reich, aber gaben allen noch Ärmeren gerne Kredit. Eine ältere Dame aus Wiesweiler sagte noch Jahrzehnte später: „Wieviel Geld hätten manche Leute ihnen noch heute zurückzuzahlen!“.  Ihre deutschen Schuldner hatten damit sehr billig eingekauft.

Weiteres Schicksal: Frau Flora und Sohn Oskar Levy konnten sich 1937 nach Detroit in die USA retten. Ihr Offenbacher Anwesen hatten sie verkauft.

Der zweite Sohn, Kurt Levy, zog von Offenbach nach Mayen in der Eifel. 1938 wanderte er in die Niederlande aus. Dort wähnte er sich nun in Sicherheit. Aber die deutschen Truppen eroberten das Land: Von dem holländischen Durchgangsghetto Westerborg wurde er in das Vernichtungslager Sobibor verschleppt. Dort wurde er im Alter von 35 Jahren hingerichtet. Von dem Schicksal seiner Frau ist nichts bekannt.

Gerhard Voß schreibt über die Familie Levy:

Die Familie David Levy hatte ihr Domizil in der Hauptstraße 47. David Levy wurde am 20. Februar 1875 geboren. Er war Kaufmann und handelte mit Lebensmitteln, aber auch mit Textilien und Kurzwaren. Als deutscher Soldat nahm er am Ersten Weltkrieg teil, erhielt das Eiserne Kreuz 2. Klasse und kam gar mit einem Holzbein heim.

In der Offenbacher Synagoge nahm David Levy über Jahre die Stellung des Vorbeters oder Kantors ein. Der Vorbeter ist ein frommer Jude mit einer guten Singstimme, ein Kantor also, der Hebräisch versteht und sprechen und singen kann. Durch seine Leistung soll der Gottesdienst in der Synagoge attraktiver und ergreifender gestaltet werden und möglichst viele Leute anziehen.

Der Vorbeter (Kantor) sorgt für ordnungsgemäße Reihenfolge (des Gottesdienstes), indem er die ersten und letzten Zeilen der Gebete intoniert. Er wiederholt laut die achtzehn Lobpreisungen, und die Gemeinde antwortet nach jeder Lobpreisung „Amen“.34

Es müssen jedoch mindestens zehn männliche Beter anwesend sein, was in der Offenbacher Synagoge bis 1930 zumeist noch der Fall war.

David Levys Stellung innerhalb der jüdischen Gemeinde Offenbach war auch durch das Amt des Schächters, das er inne hatte, besonders herausgehoben. Er übte es bis zu seinem Tode am 15. Januar 1930 aus.

Jeden Freitag schlachtete er abwechselnd in den Metzgereien Seifert und Ruby das Vieh für seine jüdischen Mitbürger. Die Speisekarte der hiesigen Juden hing damals also weitgehend von ihm ab und von seiner erlernten Kunst des sogenannten Schächtens oder Schlachtens. Ein gläubiger Jude darf nämlich nur „koschere“ Nahrung, also auch nur koscheres Fleisch zu sich nehmen. Das heißt, von allen Landtieren sind nur Wiederkäuer mit gespaltenen Klauen zum Verzehr erlaubt, keine Schweine, Raubtiere, Nagetiere, Pferde u. a. Von den im Wasser lebenden Tieren dürften nur solche mit Flossen und Schuppen gegessen werden, also keine Krabben, Austern, Hummern, Schnecken, Frösche u. a., auch Insekten sind nicht erlaubt, Vögel (Geflügel) dagegen zugelassen. Koscher bedeutet „rein“ oder besser: „zum Verzehr geeignet.“

Fleisch ist aber nur dann zum Verzehr geeignet, wenn das Tier mittels eines besonders schaden Messers durch einen schnellen, exakten und absolut sicheren Schnitt durch die Halsschlagader augenblicklich getötet und anschließend nahezu vollständig ausgeblutet wird. Bevor das Fleisch in die Hand des Verbrauchers gelangt, müssen noch die größeren Blutgefäße, der Ischiasnerv und das Nierenfett entfernt werden. Die Fleischteile sind zu salzen und mehrmals zu wässern. Weitere Speisegesetze verbieten u. a. das Trinken oder Verarbeiten von Tierblut sowie den Genuß von Fleisch noch lebender Tiere. Fleisch und Milch oder ihre Produkte kommen nie zusammen auf den Tisch.

David Levys Grab und letzte Ruhestätte befindet sich auf dem neuen Judenfriedhof in Offenbach.

Seine Ehefrau Flora war eine geborene Anspach und wurde am 15. August 1879 geboren. Infolge des Engagements ihres Mannes in der jüdischen Gemeinde war Flora Levy diejenige, die in ihrem Geschäft die Hauptlast trug.

Offenbar hatte Frau Levy ihren am 8. Oktober 1847 geborenen Vater Michel Anspach bei sich aufgenommen. Er starb am 6. Februar 1933 im hohen Alter von 85 Jahren und wurde auf dem Offenbacher Judenfriedhof beigesetzt. Sohn Kurt Levy wurde am 12. Dezember 1908 in Offenbach geboren. Er besuchte die evangelische Volksschule Offenbach nur ab dem 7. Dezember 1919, war vorher möglicherweise in der jüdischen Schule Offenbach und wurde mit Wirkung vom 1. Februar 1920 nach Meisenheim überwiesen, wahrscheinlich in die Lateinschule, denn die Juden legten ganz allgemein großen Wert auf eine gute schulische Ausbildung ihrer Kinder.

Oskar Levy, der Bruder von Kurt Levy, wurde am 8. Juli 1911 in Offenbach geboren. Er besuchte die evangelische Volksschule vom 27. August 1923 bis 31. März 1925. Es ist nicht bekannt, welche Schule er vor 1923 besuchte.

Frau Flora Levy und auch ihre beiden Söhne Kurt und Oskar haben sich 1937 noch rechtzeitig vor dem Zugriff der Nazis nach Amerika retten können, und zwar nach Detroit. Ihr Offenbacher Anwesen hatten sie vorher verkauft.