Familie Leo Roos

Der kleine Viehhändler aus der „Judengasse“: Leo Roos, Brückenstraße 20

Familienvater: Leo Roos (geb. 1882) arbeitete als Viehhändler. Er war der einzige, der zu dieser Zeit noch in der „Judengasse“ wohnte, dem alten jüdischen Viertel von Offenbach. Er war überall unter dem Spitznamen „s`zittrich Leosche“ bekannt.

Weitere Familienmitglieder: Seine Frau Toni (geb. Kahn) stammte aus Mörfelden in Hessen (geb. 1897). Mit ihnen wohnten zwei Kinder: die Tochter Tilly (geb. 1921) und der Sohn Ernst (geb.1922).

Schulbild von Tilly Roos

Tilly besuchte die Lateinschule in Meisenheim und kehrte 1933 an die evangelische Volksschule Offenbach zurück. Jüdische Schüler waren an „höheren“ Schulen nicht gern gesehen. Im März 1935 schloss sie dort die Schule ab. Sie emigrierte im Februar 1938 in die USA. Sohn Ernst Roos besuchte die evangelische Volksschule Offenbach bis zur Schulentlassung 1937. Zum Zeitpunktder „Reichskristallnacht“ war er 16 Jahre alt und damit der jüngste jüdische Bürger in Offenbach. Karolina Roos (*1854), die Mutter von Leo Roos, lebte mit der Familie.

Das ehemalige Wohnhaus von Familie Roos in der heutigen Brückenstraße

Weiteres Schicksal: Die Möbel der Familie Roos wurden in der „Reichskristallnacht“ verwüstet. Der Familienvater kam in „Schutzhaft“. Die Eltern Roos, die 84 jährige Mutter Karolina und Sohn Ernst zogen nach Frankfurt um. Leo Roos und seine Frau Toni wurden von dort in das Ghetto Theresienstadt verschleppt, wo sie am 15. September ankamen. Kaum sieben Monate später fand Leo Roos am 23. März dort den Tod imAlter von 62 Jahren. Seine Frau Toni Roos überlebte ihn um ein Jahr. Sie wurde am 16. Mai 1944 im Alter von 47 Jahren in Auschwitz ermordet. Von ihrem Sohn Ernst fehlt jede Spur. Die Großmutter, Frau Karolina Roos, starb am 23.9.1942 im Ghetto Theresienstadt im Alter von 88 Jahren.

Gerhard Voß schreibt über die Familie:

Die Familie Leo Roos wohnte in der Brückenstraße 20. Ihr Eigentum befand sich also in der alten Judengasse von Offenbach. Leo Roos, geboren am 3. September 1882, war Viehhändler. Aber die Freiheiten aller jüdischen Bürger waren inzwischen schon so stark beschnitten, daß eine Berufsaus­übung 1938 nahezu unmöglich war. Das Leben der Juden gestaltete sich damals mehr schlecht als recht. Und die Ehefrau Toni Roos, geborene Kahn, geboren am 1. Januar 1897, stand, wie alle ihre Leidensgenossinen, so manches Mal ratlos vor ihrem Herd.

Tilly Roos, am 8. Mai 1921 in Offenbach am Glan geboren, besuchte die Lateinschule in Meisenheim. Sie kehrte 1933 an die evangelische Volksschule in Offenbach zurück, weil sie in Meisenheim offenbar zu den unerwünschten Personen zählte. Ihre Entlassung aus der Offenbacher Schule erfolgte am 31. März 1935. Tilly erlebte die Reichskristallnacht nicht mehr in Deutschland. Ihr gelang es, am 21. Februar 1938 in die USA auszuwandern.

Ernst Roos, geboren am 16. Oktober 1922 in Offenbach/Glan, besuchte die evangelische Volksschule seines Geburtsorts vom 1. April 1929 bis 31. März 1937. Er war zum Zeitpunkt der Reichskristallnacht eben erst 16 Jahre alt und damit der einzige jüngere Einwohner jüdischen Glaubens, der sich damals noch in Offenbach befand.

Leo Roos, sein Vater, wurde auch ein Opfer der Kristallnacht. Nicht genug damit, daß man auch sein Mobiliar zerschlug und auf die Straße warf, man nahm ihn ebenfalls in „Schutzhaft“. Auch er wurde in das Gefängnis Grumbach gesteckt.

„Schutzhaft“ bedeutet normalerweise, daß jemand bei Gefahr für Leib und Leben auf eigenen Wunsch beziehungsweise mit eigener Zustimmung bei der Polizei in Verwahrung genommen wird. Besteht die Gefahr nicht mehr, so kann der in Schutzhaft genommene wieder gehen, wohin es ihm beliebt. Dies aber galt nicht für die Inhaftierungen der Juden in jener fragwürdigen Nacht. Man hatte das Eigentum der jüdischen Familien demoliert und sperrte die Männer obendrein dafür auch noch ein. Das heißt, die Offenbacher Juden, die man zunächst in Schutzhaft genommen hatte, was während der Ausschreitungen u. U. sogar noch als sinnvoll erschien, wurden danach jedoch nicht freigelassen, sondern in das KZ Dachau transportiert.

Zur Familie Leo Roos gehörte auch noch dessen Mutter Karolina Roos, geborene Mayer, geboren am 2. Oktober 1854. Sie war die Oma des Hauses und zur Zeit der fraglichen Nacht bereits 84 Jahre alt. Über das Schicksal der Familie Leo Roos ist hier gegenwärtig nichts bekannt. Edgar Mais berichtet lediglich:

Die restlichen vier Mitglieder der Familie Roos zogen am 28. 6. 1939 nach Frankfurt/M.36

Sie meldeten sich dort an als wohnhaft in der Ostendstraße 1,1.

 

Ein Bürger von Wiesweiler erinnert sich an einen schlimmen Streich, der Leo Roos im Dritten Reich gespielt wurde:

„Blut für`s zittrich Leo`che“

 

Von der „Adolf Hitler Straße“ führte die alte „Judengasse“ direkt zum Glan. Dort wohnte auf der rechten Seite die Familie Roos. Der Vater Leo Roos arbeitete in der heutigen Brückenstrasse als Viehhändler. Von einer Erkrankung hatte er seinen Spitznamen: „s`zittrich Leo`che“ bekannt.

Eines Abends  klopfte es an die Tür der Familie. Leo Roos öffnete. Bevor er etwas sagen konnte, floss eine zähe Flüssigkeit seinen Körper herunter. „Mein, mein Gott“, schrie seine Frau, die gerade dazu kam. Sie dachte, er sei schwer verletzt; seine Kleider waren mit Blut getränkt. Dann sahen beide eine Schweineblase auf dem Boden und verstanden: Antisemiten hatten sie mit Schweineblut vom Schlachten gefüllt. Nach vollbrachter Tat liefen sie schnell weg.

Noch lange nach Kriegsende wurde dieses Ereignis offen erzählt; etwa in Werkstätten, wo ein Lehrling den „Gesprächen der Alten“ über den makabren Klingelstreich zugehört hatte.

 

INFO:

„Du Judensau“, das war eines der beliebtesten Schimpfwörter im 3. Reich.

Dabei gilt für Juden das Schwein als unreines Tier; der Verzehr von Schweinefleisch ist im 3. Buch Mose 11 streng verboten.

Gleichzeitig verbietet das Judentum den Genuss von Tierblut, da sich in diesem die Lebenskraft des Tiers befände. Durch eine spezielle Schlachttechnik („Schächten“) blutete das Tier vollständig aus. Auch die Offenbacher jüdische Gemeinde beschäftigte einen speziell ausgebildeten Schlachter, den „Schochet“: David Levy (siehe S…..) schlachtete am Freitag in den Metzgereien Seifert und Ruby, damit seine jüdischen Mitbürger am Sabbat Fleisch essen konnten.

Religiös wurde Leo Roos also doppelt verletzt: Für alle Juden waren (a) Schweine unrein und (b) Blutgenuss streng verboten.