Tödliche Anonymität

Aus den Augen, aus dem Sinn – “Über die Kunst, 22 Bürger verschwinden zu lassen!

Alfred Roos und seine Mutter Babette Roos
Alfred Roos und seine Mutter Babette Roos

Fast alle… leben im Ausland“, schrieb 1957 Bürgermeister H. über die Angehörigen der auf dem neuen jüdischen Friedhof Bestatteten. „Über ihr weiteres Schicksal ist nichts bekannt“, erfuhr etwa G. Voss über Alfred Roos, der 1943 in Theresienstadt starb. „Von dort aus mögen sie in die USA ausgewandert sein!“ ,erfuhr er über den in Auschwitz ermordeten Leo Roos.

Wie ist es möglich, in einem kleinen Ort mehr als 20 Bürger töten zu lassen, und niemand fragt nach? Die NS-Vernichtungsmaschinerie benutzte ein einfaches Mittel, um aus Freunden und langjährigen Nachbarn Fremde zu machen: Zwangsumzüge in anonyme Großstädte.

• Niemand wurde direkt von Offenbach in ein Vernichtungslager abtransportiert. So war es leichter zu sagen, man hätte nichts gewusst. Schließlich waren die jüdischen Bürger in Städte wie Köln oder Frankfurt verzogen.

• Nach der Reichspogromnacht wurden zwei Offenbacher Männer in das KZ Dachau verschleppt. Selbst diese kamen von dort zurück in ihre Häuser. Von dort wurde Hugo Heymann durch den NS-Ortsgruppenleiter L. aufgeordert, innerhalb von 10 Minuten (!) sein Haus und alle Menschen zu verlassen, die gegen die Verschleppung eines alten Bekannten protestieren könnten. Ehepaar Heymann gelang die Auswanderung. Der ebenfalls nach Dachau verschleppte Leo Roos wurde ermordet

• Besonders tragisch war das Schicksal von Kurt Levy, dem jüngsten uns bekannten Opfer. Er zog nach Mayen in der Eifel, um von dort in die vermeintlich sicheren Niederlande auszuwandern. G. Voss  glaubte, dass er sich nach Detroit retten konnte. Nach der Eroberung der Niederlande durch Hitler wurde er jedoch verschleppt. 1943 wurde der 35-jährige in dem Vernichtungslager Sobibor für tot erklärt.

Eine bittere Erkenntnis bleibt für Offenbach: Je älter und je ärmer die jüdischen Bürger waren, umso wahrscheinlicher wurden sie Opfer des Holocausts! Nur eine sprach offen von ihrem Schicksal: Karoline Rothschild (verh. Schlaufmann). Sie war die einzige noch in der Region wohnhafte „Jüdin aus Offenbach am Glan“. Sie kämpfte 1947 in einem Brief um die Instandsetzung des neuen jüdischen Friedhofs, „um den Schandfleck der Gräberschändungen auszuradieren“,  die auch nach Kriegsende offen zu sehen waren. Arbeitskraft und Mittel hierfür sollten von den Nutznießern des „Dritten Reiches“ aufgebracht werden, von denen die Gemeinde Offenbach ziemlich viel aufzuweisen hat!  Sie schreibt: „Meine Familienangehörigen mussten auch schwere körperliche und ungewohnte Arbeiten verrichten…, und dann verschleppte man die Armen nach KZ-Lagern und mordete sie hin!“

Nach den so Ermordeten forschte lange niemand. Durch das Vergessen starben sie das zweite Mal.