Zusammenfassung Buch Voss

Zu diesem Beitrag:

Gerhard Voß, der frühere Schulleiter der Hauptschule Lauterecken-Offenbach, ist schon vor Jahren durch die Veröffentlichung heimatgeschichtlicher Bücher über Offenbach und über die berühmte Propsteikirche am Ort bekannt geworden. In seinem Ruhestand setzte er sich in einem intensiven Studium mit der Geschichte des Judentums auseinander, und vor allem mit dem jüdischen Geistesleben. Sind die vielseitigen Darstellungsmöglichkeiten der Ortsgeschichte weitgehend erschlossen, so fehlen in Offenbach bislang die Aufzeichnungen zu einer Geschichte der jüdischen Bürger. Die jüdische Gemeinde Offenbachs war groß und von Bedeutung für die wirtschaftliche Geschichte des Ortes. Pfarrer Erich Renk gab dem Autor die Anregung, durch die Darstellung einer Geschichte der Juden in Offenbach eine noch bestehende Lücke in den heimatgeschichtlichen Darstellungen zu schließen.

Gerhard Voß nahm die Anregung auf, vertiefte sich in den Stoff und betrieb ein intensives Quellenstudium zur Geschichte der Offenbacher Juden. So entstand ein umfangreiches Manuskript über das jüdische Geistesleben und über die besondere Geschichte der Juden von Offenbach.

Das Manuskript sollte als Buch veröffentlicht werden. Die Veröffentlichung der gesamten Arbeit ist im Augenblick jedoch nicht möglich, da kaum öffentliche Gelder für ein solches Vorhaben zur Verfügung stehen. So haben wir uns entschlossen, wenigstens den heimatgeschichtlichen Teil der Arbeit in den Westricher Heimatblättern zu veröffentlichen. Leider mußte aus Raumgründen auch dieser Teil noch gekürzt werden. Vor allem ist es bedauerlich, daß bei dem begrenzten Umfang des Heftes das vorgesehene Bildmaterial nur zum Teil veröffentlicht werden kann und daß Faksimilewiedergaben der im Text nachgedruckten Quellen ebenfalls nicht erscheinen können.

Dennoch sind wir der Auffassung, daß wir mit diesem Beitrag auch zur allgemeinen Geschichte der Juden unserer Heimat einen wichtigen Beitrag leisten. Die Auseinanderset­zung mit der Geschichte der Juden im heimatlichen Bereich muß eine Verpflichtung für uns sein, und es wäre ein großes Unrecht, wenn wir gerade diesen Bereich unserer Vergangenheit zu verdrängen trachteten. Tragen wir auch keine persönliche Schuld an dem furchtbaren Geschehen der Vergangen­heit, so gebietet uns die Verantwortung für unser Handeln in der Gegenwart eine fundamentale Auseinandersetzung mit den schlimmsten Verbrechen, die im Namen des deutschen Volkes begangen wurden. Unerfreuliche und erschreckende Erscheinungen der Gegenwart können uns auf unsere Versäumnisse in dieser Hinsicht aufmerksam machen.                                             (Ernst Schworm)

 

Die jüdischen Bürger von Offenbach am Glan

Von Gerhard Voß

  1. „Gedenket des Herrn in fernem Lande …“1 1. Erste Juden in Offenbach am Glan

Dem Juden Abraham aus Offenbach am Glan wurden, weil er als Händler in ein fremdes Gebiet reiste, im Jahre 1548 für einen auf ihn ausgestellten sogenannten Schutzbrief 20 Gulden abgenommen. In Offenbach gab es mithin schon vor rund 450 Jahren Einwohner jüdischen Glaubens.

Es würde aber keineswegs überraschen, wenn die Jahreszahl 1548 bezüglich der Judenansiedlung in der Glangemeinde auf Jahre davor revidiert werden müßte, erhielten doch die Wildgrafen von Dhaun-Grumbach auf Grund besonderer kaiserlicher Privilegien bereits 13013 das Recht, in ihrem Herrschafts­bereich „Juden zu halten“. Dieses „Juden-halten“ geschah keineswegs aus humanitären Gründen, sondern war wohl eher eine rein egoistische Maßnahme der verschiedenen Herrenhäuser, versprach man sich doch eben durch die Juden, wie man anderswo schon mit Erfolg praktizierte, eine nicht unerhebliche Aufbesserung der Haushaltsfinanzen.

In diese Zeit gehört zweifellos auch die Geschichte oder das Gleichnis von den sogenannten „Juden­schwämmen“. Man redete davon, daß manche Grundherren die von ihnen völlig abhängigen Juden zunächst in aller Ruhe erhebliche Geldmittel ansammeln, sich also gewissermaßen „vollsaugen“ ließen, um sie danach eines Tages mit unfairen Mitteln wie einen Schwamm auszuquetschen.

Da und dort wurden also die Juden von ihren Fürsten und Grafen mit Hilfe der „Schwamm-Methode“ um ihr oftmals nicht unbeträchtliches Betriebskapital oder Erspartes gebracht.‘

Am 9ten Fructidor 10 (= 27. August 1802) verfaßte der Maire Gerlach aus Offenbach einen Brief an den Oberpräfekten des Saar-Departements in Trier. Fast am Ende dieses Schreibens stehen diese Zeilen:

  . suchen die Juden sich auch noch von der geringen Abgabe zu befreyen, die sie für den Genuß so vieler Vortheile seit Jahrhunderten bezahlt haben.

Der Maire wußte möglicherweise, seit wann die Juden in Offenbach ansässig waren. Er schreibt „seit Jahrhunderten“. Die Vermutung, daß es hier schon vor 1548 Juden gab, ist also nicht abwegig.

Ein früheres Datum der Judenansiedlung in der Glangemeinde wäre auch noch aus anderen Gründen denkbar.

Da gibt es erstens eine Schenkungsurkunde aus dem Jahr 1150. Erzbischof Heinrich I. von Mainz bestätigt darin, daß der freie Ritter Reinfried in Offenbach ein Kloster stiftet und diesem alle seine Ländereien zur Verfügung stellt. In der Urkunde heißt es u. a.:

. . Die Marktrechte zu Offenbach, welche ihm (Reinfried) als Geschenk kaiserlicher Gnade übertragen waren, hat er . . . dem Kloster gewährte

Zweitens gelang es dem Wildgrafen Jahann von Dhun (1308-1350), für den Marktflecken Offenbach im Jahre 13187 die Städtefreiheit durchzusetzen und damit selbst an den Markteinkünften teilzuhaben.

Auch die Einsetzung eines sogenannten Hochgerichtes in Offenbach (seit 1320) hob die Bedeutung des Marktfleckens am Galan.

Schließlich erklärte Kaiser Ludwig der Bayer (1314-1347) Offenbach am 29. Juli 1330 zur freien Reichsstadt. In der Urkunde steht u. a. dies:

. daz wir von besondern gnaden durch . . bet des edeln manns Johansen, dez Wildengreven . . . die stat zu Offenbach geehaft und gefreyt haben . . . also daz di selbe stat und alle die, die dar inne wonend, die recht und vreyunge haben sollen, als unser und des richs stat Cheysersluter hat und gefreit ist . 9

Das heißt nichts anderes, als daß die junge Stadt Offenbach dieselben Rechte und Freiheiten erhielt, wie sie die Stadt Kaiserslautern bereits für sich in Anspruch nehmen konnte. Ein sehr wichtiges und begehrtes Stadtrecht war damals die Erlaubnis, regelmäßig Märkte abzuhalten. Und so konnte Offenbach in der Folgezeit bis ins 19. Jahrhundert hinein jeweils am Ostermittwoch, an den Pfingsttagen, um den Kirchweihtag (8. September) und an Neujahr Jahrmärkte veranstalten. Überdies wurden noch bis etwa 1931 jährlich

in der zweiten Aprilhälfte              ein Großvieh- und Rindermarkt,

Mitte August                                ein Großvieh- und Rindermarkt,

ein Ziegenmarkt und

ein sogenannter Krammarkt

sowie Ende Oktober                    wieder ein Großvieh- und Rindermarkt

durchgeführt»

Da Handel und Wandel aller Art sowie Geldgeschäfte, selbstverständlich damit auch die Märkte an sich das Interesse der Juden wecken mußten, dürfte ihre Ansiedlung oder auch ihr zeitweiliger Aufenthalt in Offenbach am Galan doch wohl schon um 1300 anzusetzen sein, konnten sie sich doch ihren Lebensun­terhalt vornehmlich nur durch den Viehhandel, den An- und Verkauf von landwirtschaftlichen Produkten sowie den Handel mit „Kramwaren“ verdienen. Auch das sogenannte Hausieren war üblich, also das Herumziehen von Haus zu Haus mit allerlei nützlichen Kurzwaren. An Markttagen entfiel das Hausieren, da ja in diesem Falle die Kunden zum Händler kamen.

Darüber hinaus durften manche Juden anfangs sogar die Landwirtschaft betreiben. Erst als ihnen von staatlicher und grundherrlicher Seite der Ankauf von Grund und Boden untersagt wurde, mußten sie ­etwa im 14. Jahrhundert — die Landarbeit aufgeben.

Da verhalf ihnen die Kirche — offensichtlich ungewoll – zu einem neuen Erwerbszweig, nämlich zu dem des Geldwechseln. Im Jahre 121511 hatte Papst lnnozenz IPI. den Christen Geldgeschäfte, die Zinserträge einbrachten, verboten. Ein solcher Handel galt als unedel und gar unsittlich. Und dabei gab es damals viel Geld zu wechseln, denn in jeder Grafschaft, in jedem Fürstentum galten andere Münzen.

Um nun die ihnen erlaubten Erwerbstätigkeiten, also den Vieh- und Warenhandel sowie die Geldgeschäf­te möglichst effektiv ausüben zu können, mußten die Offenbacher Juden sehr flexibel sein, zumal sich in den Handelsberufen mehr und mehr auch die christliche Konkurrenz bemerkbar machte. Das heißt, die Juden waren zumeist gezwungen, von einem Ort zum anderen zu ziehen und die erreichbaren Märkte der näheren und weiteren Umgebung zu besuchen, zum Beispiel Lautereren, Meisenheim, Kaiserslau­tern, Kirn, Oberstein, Baumholder, Kusel, Birkenfeld, St. Wendel u. a.

Anläßlich solcher Geschäftsreisen hatten die jüdischen Händler—nicht nur der zuvor erwähnte Abraham aus Offenbach — sich vom jeweiligen Grundherren, dessen Gebiet sie betraten, Geleitzettel oder auch sogenannte Schutzbriefe ausstellen zu lassen und vor allem zu bezahlen. Schon damals war man in den Schlössern, Burgen und Palästen um das Erfinden von Steuern und Abgaben nicht verlegen. Wo der große und kleine Zehnte und die vielen Fron- und Hand- und Spanndienste nicht mehr genügten, um die Bedürfnisse der Landes- und Grundherren zu finanzieren, mußten eben noch Schutzbriefe her, wiewohl der so gebeutelte Händler keineswegs eine absolute Garantie dafür besaß, unterwegs nicht doch von Räubern und Wegelagerern überfallen zu werden. Sicherheitshalber reisten die Juden deshalb mit Pferd und Wagen in größeren oder kleineren wehrhaften Gruppen, einige von ihnen hoch zu Roß als Vor- oder Nachhut.

Feiglinge waren die Glantaljuden nicht. Wehe dem, der ihnen zu nahe trat. Sie hatten eine Hand, die lose im Gelenk saß. Die größten Handelsleute waren die Juden in Offenbach. Zu ihren Kunden zählten viele von Baumholder.

In diese Zeit paßt vielleicht auch die Begebenheit, über die das folgende Schreiben einiges aussagt:

Dem Vorsteher Kurt und der ganten Gemeinde zu Offenbach,

es wird hier mit an gedeutet, daß da dieselben schon so viel mahlen gewarnt wurden, die aus Ländischen Juden und deren Weiber von Süßkind, oder Salamon nicht über nacht in dem Ort Offenbach zu dulden, solches aber dennoch biß auf diese Stundte geschehen, so wird ihnen von Herrschafts wegen

eine Strafe von fünftzig reichs thalern in Zeit von 8 Tagen zu erlegen, an gesetzet, und welcher bey Treibung der Strafe, man sich hier mit an den Vorsteher wird zu halten wissen.

Grumbach, d. 30. Januar 1776                                                                 Carl Ludwig

Rheingraff 13

In Wahrnehmung ihrer geschäftlichen Interessen waren die Juden recht häufig unterwegs. Da das Reisen damals zumeist beschwerlich war und Tage in Anspruch nehmen konnte, wurden auswärtige Übernach­tungen nicht selten zur Notwendigkeit. Was lag da näher, als daß man sich bei Verwandten oder Bekannten einquartierte. Aber gerade das wollte man von „herrschaftlicher“ Seite aus nicht dulden. Also verhängte man recht drastische Strafen und erschloß sich auf diese Weise eine weitere einträgliche Einnahmequelle.

Außer den verhältnismäßig zahlreichen jüdischen Händlern lebte und praktizierte um 1750 in Offenbach der berühmte Judenarzt Levi.“ Er war von Oberstein aus hierher gezogen und gewann dank seines Könnens das Vertrauen sowohl seiner jüdischen als auch christlichen Patienten. Und bald kamen die Kranken gar aus nah und fern, um sich von Dr. Levi kurieren zu lassen.

Um jene Zeit gab es in Offenbach noch einen weiteren bedeutenden Juden, nämlich den Oberlandrabbiner. Er war das religiöse Oberhaupt der Juden im Bereich der Wildgrafschaft. Neben seinen Aufgaben in religiöser Hinsicht besaß er das Recht, die in einzelnen Judengemeinden anstehenden allgemeinen Angelegenheiten, Probleme und Fragen zu regeln, sowie bei Judenstreitigkeiten rechtliche Entscheidun­gen zu treffen, beziehungsweise Urteile zu fällen. Dabei dienten ihm Thora und Talmud als Grundlage der Rechtsfindung. Sie wissen Antwort zu geben auf alle Problemfragen des täglichen Lebens.

Kam es jedoch zu Streitigkeiten zwischen Christen und Juden, so hatte ein weltliches Gericht zu entscheiden.

Einige Christen hatten 1806 z. B. die Juden beim Amtsgericht in Kusel wegen Wuchers verklagt. Nach strenger Untersuchung des Falls jedoch erklärte das Gericht die Beklagten für unschuldig. In der Begründung hieß es, daß die Juden gar nicht imstande seien zu wuchern, weil es ihnen an den dazu nötigen Eigenmitteln fehle.

Um 1800 soll es im Bereich des sogenannten Restkreises Baumholder-St. Wendel insgesamt nur um die 300 Juden gegeben haben. Davon wohnten allein in Offenbach am Galan ungefähr 100 Einwohner jüdischen Glaubens.“ Mit ihnen könnten die nachstehend aufgeführten Personen zum Teil identisch sein. Die Namen wurden einem Verzeichnis aus dem Jahre 1835 entnommen, das dem rheinland-pfälzischen Landeshauptarchiv in Koblenz vorliegt:

Lfd. Nr.  Name Geburtsort Bemerkungen
1 Simon Bermann Roos Offenbach von Geburt an in Offenbach wohn­haft; Handelsmann
2 Caroline Maier Argenschwang Ehefrau von 1
3 Babette Löb Hinzweiler Dienstmagd von 2
4 Lazarus Bermann Roos Offenbach von Geburt an in Offenbach wohn­haft; Handelsmann
5 Sibilla Schloß Altensimmern Ehefrau von 4
6 Moses Roos Offenbach Sohn von 4 + 5
7 Samuel Roos Offenbach Sohn von 4 + 5
8 Catharina Daumling Niedereisenbach Dienstmagd von 5
9 David Roos I Offenbach von Geburt an in Offenbach wohn­haft; Handelsmann
10 Friederike Levi Niederwiesen, hessisch Ehefrau von 9
11 Nanette Roos Offenbach Tochter von 9 + 10
12 Abraham Roos Offenbach Sohn von 9 + 10
13 Marianne Weimann Niederwiesen Magd von 10
Lfd. Nr. Name Geburtsort Bemerkungen
14 Lazarus Maier Argenschwang wohnt schon 12 Jahre in Offen­bach; Handelsmann
15 Fanette Roos Offenbach Ehefrau von 14
16 Henriette Roos Offenbach Tochter von 14 + 15
17 Bermann Roos Offenbach Sohn von 14 + 15
18 Simon Roos Offenbach Sohn von 14 + 15
19 Emanuel Roos Offenbach Sohn von 14 + 15
20 Raphael Rotschild Offenbach Knecht von 14
21 Caroline Theobald Neumagen Magd von 15
22 Isaac Herz Offenbach von Geburt an in Offenbach wohn­haft; Metzger
23 Alexander Herz Offenbach Bruder von 22
24 Sinai Herz Offenbach Bruder von 22
25 Sara Herz Offenbach Schwester von 22
26 Gertrude Herz Offenbach Schwester von 22
27 Abrahahm Maier Staudernheim,

hessisch-homburgisch

wohnt schon wenigstens 60 Jahre in Offenbach; Lehrer
28 Therese Fersch Teschenmoschel, bayrisch Ehefrau von 27
29 Abraham Maier Offenbach Sohn von 27 + 28
30 Eva Maier Offenbach Tochter von 27 + 28
31 Löb Grünenbaum Offenbach von Geburt an in Offenbach wohn­haft; Handelsmann
32 Therese Oppenheimer Blieskastel Ehefrau von 31
33 Alexander Grünenbaum Offenbach Sohn von 31 + 32
34 Moses Grünenbaum Offenbach Sohn von 31 + 32
35 Sinai Grünenbaum Offenbach Sohn von 31 + 32
36 Therese Grünenbaum Offenbach Tochter von 31 + 32
37 Babette Grünenbaum Offenbach Tochter von 31 + 32
38 Jacobine Grünenbaum Offenbach Tochter von 31 + 32
39 Lea Kauffmann Berstadt, bayrisch wohnt schon 24 Jahre in Offen­bach; Witwe von Abraham Löb
40 Friederike Löb Offenbach Tochter von 39; dient in Weier­bach
41 Eva Löb Offenbach Tochter von 39, dient in Weier­bach
42 Sara Löb Offenbach Tochter von 39, dient in Niederkir­chen
43 Löb Löb Offenbach Sohn von 39
44 Philippine Löb Offenbach Tochter von 39
45 Susanne Salomon Offenbach seit ihrer Geburt in         Offenbach

wohnhaft;    Handelsfrau;    Witwe
von Seligmann Bermann Roos

46 Joseph Ross Offenbach Sohn von 45
47 Bernhard Sender Bosen Knecht von 45
48 Rosa Albert Ottweiler wohnt schon 6 Jahre in Offen-
bach; ohne Gewerbe; Witwe von
Jacob Bermann Roos
49 Aron Roos Offenbach Sohn von 48
Lfd. Nr.   Name Geburtsort Bemerkungen
50 David Bermann Roos II Offenbach seit seiner Geburt in Offenbach wohnhaft; Handelsmann
51 Amalie Albert Ottweiler Ehefrau von 50
52 Babette Roos Offenbach Tochter von 50 + 51
53 Philippine Rothschild Sien Magd von 51
54 Jakob Lazarus Nastätten, nassauisch wohnt schon 11 Jahre in Offen­bach; Mäkler
55 Eleonore Lazarus Offenbach Ehefrau von 54
56 Bernhard Lazarus Offenbach Sohn von 54 + 55
57 Lazarus Lazarus Offenbach Sohn von 54 + 55
58 Johannette Lazarus Offenbach Tochter von 54 + 55
59 Benjamin Felsenthal Odenbach, bayrisch wohnt schon 12 Jahre in Offen­bach; Mäkler
60 Agathe Herz Eppelsheim, darmstädtisch Ehefrau von 59
61 Jacob Felsenthal Offenbach Sohn von 59 + 60
62 Max Felsenthal Offenbach Sohn von 59 + 60
63 Esther Felsenthal Offenbach Tochter von 59 + 60
64 Hermann Felsenthal Offenbach Sohn von 59 + 60
65 Ludwig Bermann Roos Offenbach wohnt seit seiner Geburt in Offen­bach; Handelsmann
66 Therese Gotschon Alsens, bayrisch Ehefrau von 65
67 Lazarus Roos Offenbach Sohn von 65 + 66
68 Johannetta Roos Offenbach Tochter von 65 + 66
69 Güdel Roos Offenbach Kind von 65 + 66
70 Bermann Roos Offenbach Sohn von 65 + 66
71 Abraham Roos Offenbach Sohn von 65 + 66
72 David Roos Offenbach Sohn von 65 + 66
73 Therese Roos Offenbach Tochter von 65 + 66
74 Lazarus Rothschild Offenbach seit seiner Geburt in Offenbach wohnhaft; Metzger
75 Barbara Viktor Offenbach Ehefrau von 74
76 Vogel Rothschild Offenbach Kind von 74 + 75
77 Viktor Rothschild Offenbach Sohn von 74 + 75
78 Löb Rothschild Offenbach Sohn von 74 + 75
79 Philippine Rothschild Offenbach Tochter von 74 + 75
80 Barbara Rothschild Offenbach Tochter von 74 + 75
81 Catharina Rothschild Offenbach Tochter von 74 + 75
82 Jakob Maier Aschbach, bayrisch wohnt schon über 40 Jahre in Of­fenbach; Handelsmann
83 Magdalene Trifus Großblittersdorf, französisch Ehefrau von 82
84 Rosetta Maier Offenbach Tochter von 82 + 83
85 Caroline Maier Offenbach Tochter von 82 + 83
86 Babette Maier Offenbach Tochter von 82 + 83
87 Gertrude Maier Offenbach Tochter von 82 + 83
88 Eleonore Maier Offenbach Tochter von 82 + 83
89 Elisabetha Maier Offenbach Tochter von 82 + 83
90 Benjamin Forster Treichlingen, bayrisch Knecht von 82
Lfd. Nr. Name Geburtsort Bemerkungen
91 Abraham Trifus Offenbach seit seiner Geburt in Offenbach wohnhaft; Handelsmann
92 Jacob Trifus Offenbach Bruder von 91
93 Maier Trifus Offenbach Bruder von 91
94 Regina Rothschild Sien Magd von 91
95 Sara Kauffmann Odenbach, bayrisch wohnt schon 28 Jahre in Offen-
bach; ohne Gewerbe, Witwe von
Alexander Rothschild
96 Moses Rothschild Offenbach Sohn von 95
97 Alexander Rothschild Offenbach Sohn von 95
98 Friederike Rothschild Offenbach Tochter von 95
99 Marianne Löb Hinzweiler wohnt schon 19 Jahre in Offen­bach; Witwe von Lazarus Löb
100 Alexander Löb Offenbach Sohn von 99

In einem weiteren Verzeichnis, das die Judenpatente aus dem Jahre 1833 enthält, werden vom Friedensgericht Beurteilungen über einige Offenbacher Juden abgegeben. Diese Liste ist enthalten in Band 5 der „Dokumentation zur Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Rheinland-Pfalz und im Saarland von 1800 bis 1945“ und ebenfalls beim Landeshauptarchiv in Koblenz einzusehen.

Hier einige Beurteilungsformulierungen:

  • Ungünstig, bedarf der Besserung noch.
  • Erhaltenem Vieh Fehler anzudichten, Verkäufer damit zu ängstigen und so den Kaufschilling wieder herabzupressen, sind seine Kunstgriffe.
  • Gut, hat sich im vorigen Jahr gebessert.
  • Mißlich, treibt seine Schachereien im Stillen, weshalb die Klagen nicht zu erproben sind.
  • Gut, verhält sich unbescholten.
  • Ungünstig.
  • Gut, ist untadelhaft.

Wenn man sich einmal die hier angeführten Listen etwas genauer ansieht, so muß einem eigentlich auffallen, daß die Juden fast ausschließlich in Handelsberufen tätig waren. Allein in der Auflistung aus dem Jahre 1935 finden sich nicht weniger als

10 Handelsmänner (oder -frauen) 2 Mäkler

2 Metzger 1 Lehrer

3 Knechte 6 Mägde

Die Ursache ist zum Teil in der Tatsache zu suchen, daß den Juden damals und auch später noch andere Berufe verschlossen waren, zum Teil aber auch darin, daß sie als Händler besonders prädestiniert waren beziehungsweise ein ganz besonderes Geschick besaßen.

Möglicherweise kann man im Hinblick auf die Entwicklung von Offenbach annehmen, daß die Gemeinde sich u. a. auch dank der Tätigkeiten der hiesigen jüdischen Bevölkerung zu einem für die umliegenden Orte bemerkenswerten Geschäfts- und Einkaufszentrum entwickelte, das heute allerdings seinen Höhepunkt und seine einstige Bedeutung überschritten haben dürfte. Nichtsdestoweniger gibt es hier immer noch um die 45 Gewerbebetriebe.

  1. Die politischen Verhältnisse um 1800

Zwischen den in der Liste von 1835 aufgeführten Juden und ihren Eltern einerseits und der Gemeinde Offenbach, sowie dem damaligen Maire (Bürgermeister) Gerlach andererseits, kam es um 1800 zu gewissen Spannungen und Ärgernissen, die sich nicht nur negativ auf die Beziehungen beider Parteien zueinander auswirkten, sondern auch einen regen Schriftverkehr zur Folge hatten, auf den hier etwas näher eingegangen werden soll. Zuvor ist es jedoch notwendig, einen kurzen Überblick über die politischen Verhältnisse der Zeit um 1800 zu geben.

Die Losung der Französischen Revolution von 1789 „Freiheit! Gleichheit! Brüderlichkeit!“ hatte nicht nur unseren heimatlichen Raum am Glan erreicht, sondern darüber hinaus auch alle Teile Europas erfaßt. Überall keimte Hoffnung auf, Friede den Hütten, Krieg den Palästen! Was sollte dem sogenannten kleinen Mann schon passieren? Das Leben konnte doch nur noch besser werden. Es herrschte also eine Art Aufbruchstimmung. Und dann kamen 1792 die ersten französischen Heere ins Land. Die Franzosen bauten hier eine Verwaltung nach französischem Muster auf und zögerten nicht, Kriegskosten und andere Gebühren und Steuern aus dem Land herauszuholen, wo und wann dies immer aus ihrer Sicht erforderlich war.

Nachdem auf dem Friedenskongreß zu Rastatt am 9. März 1798 die linksrheinischen Rheinlande der französischen Republik zuerkannt beziehungsweise angegliedert wurden, bildete man für unseren Raum das Departement Saar oder auch das Saar-Departement. Nach 1800 sah hier die Verwaltungs­infrastruktur etwa wie folgt aus:

Das Saar-Departement beziehungsweise seine Administration wurde in der Regel von einem Präfekten oder Oberpräfekten geleitet. Hauptstadt war Trier. Das Departement hatte man in Arrondissements unterteilt, die jeweils einem Präfekten oder Unterpräfekten unterstellt wurden.

Für Offenbach war das Arrondissement Birkenfeld zuständig. Dieses wiederum setzte sich aus den Cantonen Birkenfeld, Baumholder, Kusel, Grumbach, Meisenheim, Hermeskeil, Wadern, Herrstein, Rhaunen zusammen. Die Cantone wurden um 1800 allerdings wieder aufgelöst. Zum Canton Grumbach

zählten die Mairien               Bürgermeistereien) Grumbach, Offenbach, Sien und Schmidthachenbach. Zur
Mairie Offenbach gehörten die Gemeinden Offenbach, Wiesweiler, Buborn, Deimberg, Niedereisenbach, St. Julian, Eschenau und Niederalben. An der Spitze stand ein Maire (= Schultheiß oder Bürgermeister).

  1. Gemeindsleute, Hintersassen und Juden

1791 erlangten alle Juden (im französischen Machtbereich) die vollen bürgerlichen Rechte.

Dieses Zitat ist gewissermaßen ein Kernsatz, der bei den folgenden Betrachtungen und Darstellungen sowie im Durchdenken der Zeit um 1800 nicht außer acht gelassen werden darf.

Man unterschied vor und während der Französischen Revolution in unseren Dörfern Gemeindsleute, Hintersassen und Juden.

Die Gemeindsleute waren relativ selbständige Landwirte oder Ackerer, die eigenen Grund und Boden bewirtschafteten und auch eine gewisse Steuer zu entrichten hatten. Auch selbständige Handwerker und christliche Handelsleute gehörten in Offenbach in die Kategorie der Gemeindsleute.

Die Hintersassen bewirtschafteten zwar auch Ackerland, aber es gehörte ihnen nicht. Sie waren also zinspflichtige, vom Grundherren abhängige Landwirte und zum Teil vormals auch Leibeigene. Allenfalls konnten sie Haus und Hof und einen kleinen Garten ihr eigen nennen. Ihre Abgaben an Gemeinde und Grundherren waren mindestens um die Pachtgelder höher als die der Gemeindsleute, die oft zahlreichen Sonderdienste bei Hofe nicht eingerechnet.

Von den Juden wurden nicht selten Abgaben in doppelter Höhe gegenüber den Hintersassen gefordert. Sie standen also hinsichtlich der Abhängigkeit sowie der Steuern und Abgaben durchaus noch hinter den Leibeigenen. Nach dem Jahre 1791 ging es den Juden darum, de jure und de facto als gleichberechtigte Staatsbürger anerkannt zu werden. Dieser Prozeß lief nicht etwa in voller Harmonie ab, sondern es bedurfte von seiten der Juden großer Anstrengungen, um die sich ihnen entgegenstellenden Schwierig­keiten letztlich zu überwinden. Davon und von manchen Querelen erzählen die folgenden Seiten einiges.

  1. Einige behördliche und andere Vorgänge im Überblick

Um die Übersicht über die Reihenfolge der Vorgänge nicht zu verlieren und ihre zeitliche Einordnung zu gewährleisten, folgt an dieser Stelle erst einmal eine Art Kalendarium:

  1. Juni 1801 (29. Prairial 9.) Der Oberpräfekt des Saar-Departements in Trier erläßt den
    Beschluß, ordnet also an, daß die Mairen die rückständigen Gebühren und Abgaben der Juden auf dem Wege der Exekution (= Vollstreckung) eintreiben dürfen.
  2. Juli 1801 (23. Messidor 9.) Der Oberpräfekt schränkt seinen Beschluß vom 18. Juni 1801 in

soweit ein, als nur die Bürger Abgaben zu entrichten haben, denen gleichzeitig ein Anspruch auf Nutzung von Gemeindeeigentum (Wiesen, Weiden, Wald) zusteht.

  1. Juli 1801 (1. Thermidor 9.) Die Unterpräfektur des Arrondissements Birkenfeld unterrichtet
    die Mairen ihres Bezirkes über die Beschlüsse des Oberpräfekten mittels einer sogenannten Circulaire (= Rundschreiben).
  2. Dezember 1801 (20. Frimair 9.) Der obige Beschluß erscheint auch bzw. wird ebenfalls veröffent­licht im Departementsblatt Nr. 16.
  3. Februar 1802 (12. Pluviôse 10.) Der Maire von Offenbach fordert schriftlich von den Juden die

Begleichung der rückständigen Abgabenschuld gemäß Beschluß des Oberpräfek­ten vom 18. Juni 1801.

  1. Februar 1802 (24. Pluviôse 10.) Jacob Salomon und Lazarus Bemann, zwei Offenbacher
    Juden, reisen nach Trier und verfassen dort ihr erstes Beschwerdeschreiben, wahrscheinlich unterstützt von einem Schreiber der Administration der Oberprä­fektur oder der jüdischen Gemeinde in Trier.
  2. Juni 1802 (12. Prairial 10.) Der Oberpräfekt bescheidet das Gesuch der beiden Offenbacher

Juden vom 14. Februar 1802 abschlägig.

  1. Juni 1802 (26. Prairial 10.) Die Unterpräfektur des Arrondissements Birkenfeld fertigt eine
    Abschrift des Bescheides vom 1. Juni 1802 an und verfaßt dazu ein Begleitschrei­ben. Beide werden dem Maire von Offenbach zugeleitet.
  2. Juni 1802 (8. Messidor 10.) Jacob Salemon und Lazarus Bermann, obwohl enttäuscht über

den abschlägigen Bescheid auf ihre erste Beschwerde vom 14. Februar 1802, erarbeiten eine zweite Eingabe an die Oberpräfektur des Saar-Departements in Trier. Wieder finden sie einen Helfer für die Schreibarbeit, diesmal wahrscheinlich in Offenbach. Trier leitet die Beschwerde zuständigkeitshalber an die Unterpräfek­tur in Birkenfeld weiter.

  1. Juni 1802 (11. Messidor 10.) Ein Sekretär des Oberpräfekten mit Namen Goerlitz vermerkt

für den Unterpräfekten auf der zweiten Beschwerde der beiden OffenbacherJuden vom 27. Juni 1802, der Maire von Offenbach möge den Beschluß des Oberpräfek­ten vom 1. Juni 1802, also den abschlägigen Bescheid, noch nicht vollziehen, sondern zuvor einen „gegründeten Bericht“ abstatten.

  1. Juli 1802 (21. Messidor 10.) In einem langen, ausführlichen und wohl auch in Fleißarbeit

erstellten Brief, gerichtet an die Unterpräfektur des Arrondissements in Birkenfeld, erläutert der Maire von Offenbach seine Haltung und die Zwänge hinsichtlich der Abgaben, die er von den Juden erwartet. Offensichtlich wird der „gegründete Bericht“ des Maire von der Unterpräfektur in Birkenfeld mit einer für die Mairie Offenbach negativen Empfehlung an die Oberpräfektur in Trier weitergereicht.

  1. August 1802 (1. Fruktidor 10.) Der Maire von Offenbach erhält von Trier aus ein Abmahnungs-

schreiben, das wahrscheinlich nicht mehr existiert, aber im folgenden Schreiben erwähnt wird.

  1. August 1802 (9. Fruktidor 10.) Der Maire von Offenbach bestätigt den Eingang der Abmahnung
    und verspricht, sich daran zu halten. Er zieht dann aber noch einmal alle Register, um nachzuweisen, daß seine Auffassung in Sachen Besteuerung der 100 bis 110 Offenbacher Juden richtig ist.

Aber diesmal kann er sich trotz abermaliger Fleißarbeit nicht durchsetzen. Es bleibt dabei: Die Juden der französischen Republik, und dazu gehörte die Mairie Offenbach damals, sind gleichberechtigte Bürger geworden. Die französische Revolution hatte der menschenunwürdigen Stellung der Hintersassen (Leibeige­nen) und der Juden ein Ende bereitet.

  1. Februar 1806 (der Revolutionskalender ist abgeschafft) In einer amtlichen Bekanntmachung des
    Saar-Departements wird u. a. festgelegt, daß die Beschlüsse des inzwischen abgelösten Oberpräfekten vom 18. Juni 1801 und 12. Juli 1801 gänzlich zurück­genommen werden.

Um die hier aufgezählten Schreiben, die ja alle zu einem behördlichen Gesamtvorgang gehören, besser verstehen und einordnen zu können, folgt an dieser Stelle eine kurze zusammenfassende Situations­schilderung:

Wie an anderer Stelle bereits hervorgehoben, waren die Juden Frankreichs per Gesetz im Jahre 1791 freie und gleichberechtigte Bürger geworden. Da das deutsche linksrheinische Gebiet ab 1798 zur Republik Frankreich gehörte, galten folgerichtig auch hier französische Gesetze.

Die Juden kannten selbstverständlich die sie betreffenden Gleichberechtigungsbestimmungen und wußten auch, daß derartige Vorschriften unter Umständen eine lange Zeit benötigten, um auch im letzten Ort der Republik wirksam zu werden und also auch die untersten Behörden mit den Neuerungen vertraut waren. Den Offenbacher Juden kam eine Steuernachforderung des hiesigen Maire, die sich noch auf altes Recht berief, wahrscheinlich gerade recht, bot sich ihnen so doch die Möglichkeit, von höherer Stelle und offiziell die Bestätigung dafür zu erhalten, daß sie freie und gleichberechtigte Bürger der Republik waren und damit für sie keine Sondergesetze mehr galten. Sie weigerten sich, die geforderten Sonderabgaben zu leisten und reichten zwei Beschwerden ein. Der Maire von Offenbach hielt dagegen. Und beinahe wäre die Sache der Juden doch noch schiefgegangen. Aber ihre Zähigkeit und ihr Wissen um die Gesetze verhalfen ihnen letztlich doch zu ihrem Recht. Resigniert schrieb der Maire am 16. August 1802 an den Oberpräfekten in Trier u. a.:

Ihr Abmahnungsschreiben vom 1. dieses Monaths ist mir richtig zugekommen. Ich werde es befolgen.

Andererseits fügte er dann doch noch vier Seiten hinzu, um nachzuweisen, daß seine Forderung rechtens war. Aber die Zeit und die Gesetze waren auf Seiten der Juden. Sie durften die ersten Schritte in Richtung Emanzipation tun.

  1. Die erste Beschwerde von Jacob Salemon und Lazarus Bermann in Abschrift: Trier den 24ten pluviôse 101e^ R. Jahr

Die Bürger Jacob Salomon und Lazarus Bemann von Offenbach an den Bürger Praefeckt des Saar-Departements.

Bürger!

unterzogne petitionars (= Bittsteller) sehen sch gezwungen, für sich und ihre mit Consorten gemäß beifolgendem Verzeichnis von dem B. (= Bürger) Ludwig Lauer von Wie ßweiler Canton Grumbach aus Auftrag des B. Gerlach, meyer (= Maire) in Offenbach, welcher sich bei gehn ließ, uns unter dem Titel rückstand der Hintersaße, welches heißen soll, rückständige Juden gemeinde schutzgelder, welche ehemaln üblich waren, von denen so zur jüdischen Culte gehörten, abzufordern, und zwar laut beiliegendem Verzeichniß vom Jahre 1796 bis zum Jahr 1801. Bekannt ist es, daß seit dem Jahr 1796 die Franzosen unsere Lande erobert, und seit diesem unumschränkte beherrsche darin sind, wir haben immer alle gaben gleich den Bürgern gehörig entrichtet, dem ungeachtet will der B. Gerlach, Meyer in Offenbach die alten Gebräuchen bei uns und unsern Consorten ausüben, und bedient sich so gar den Beschluß von ihnen, Bürger Praefeckt vom 29ten prairial 9ten Jares, welches gleichsam hier auf folget, und von dem B. Meyer zu Offenbach unterschrieben ist, (einfach) lächerlich und auffallend kömt es uns vor, daß besagtem (Maire) die auflößung gedachten beschlußes von ihnen Bürger Praefeckt im trierischen De Patm. Blatt no 16 vom 20ten Frimair dieses Jars (gemeint ist der 11. Dezember 1801), worinn es heißet, daß die zum jüdischen Kulte gehörigen Bürger nicht könnten angehalten werden, starkere abgaben zu entrichten, als die, welche ehedem zu jedem anderen Kulte gehörigen einwohner sind bezahlt worden, um in den Genuß der gemeinde Votheile und ein Kunfte aufgenommen zu werden, unbekannt seyn solln, der natürliche beweiß, daß gedachter B. Meyer an dem Befehl vom 20ten Frimair lezthin gar keine rücksicht nehmet, ist bei liegende an uns gemachte forderung d. d. (= de dato = vom Tage der Ausstellung) offenbach, den 12ten pluviôse 10ten J. wodurch wir sich höchst genöthiget sehen, daruber durch unser petition (= Bittschrift) bei ihnen B. Praefeckt zu beschwehren, und haben eine reiße von 20 Stunden mit vieler Mühe und aufwand, deswegen unternehmen müßen. Wir bitten sie Bürger Praefeckt, uns ihre gerechtigkeitsliebe ebenso wie jedem andern genießen zu lassen, dem B. Gerlach, Meyer von Offenbach an zu deuten, uns von einer so ungereimten (Abgabe, Last) frei zu lassen, und nicht mit fortdauernte forderungen (an uns) zu treten, die sich über denen der übrigen Bürgern strecken und dem gesätze zu wieder sind.

Gruß und (Achtung)

Jacob Salemon von Offenbach Lazarus Bermann von Offenbach

Es dürfte dem Leser schwerfallen, sowohl die Originalschrift zu lesen als auch die Denkstrukturen der beiden jüdischen „petitionairs“ nachzuvollziehen. Deswegen folgt hier eine verkürzte Briefform etwa nach heutigem Muster:

  1. Februar 1802

Sehr geehrter Herr Präfekt!

Mit Schreiben vom 1. Februar 1802 teilte uns Herr Bürgermeister Gerlach von der Bürgermeisterei in Offenbach mit, daß er laut Titel „Rückstand der Hintersassen“ von allen Bürgern jüdischen Glaubens laut beiliegenem Verzeichnis für die Jahre von 1796 bis 1801 rückständige Schutzgelder nachzufordern habe.

Diese Forderung halten wir für unzulässig, weil wir in der angegebenen Zeit genauso viele Steuern bezahlt haben wie andere Bürger auch. Offensichtlich will der Bürgermeister die alten Zustände, wie sie vor der Französischen Revolution üblich waren, wieder einführen.

Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf Ihren Beschluß vom 18. Juni 1801, der am 11. Dezember dieses Jahres im Trierer Departementblatt Nr. 16 abgedruckt wurde. Es heißt darin u. a. auch, daß die zur jüdischen Gemeinde gehörenden Bürger nicht aufgefordert werden dürfen, höhere Abgaben zu entrichten als die christlichen Einwohner.

Im Namen aller jüdischen Bürger der Gemeinde Offenbach bitten wir Sie, Herr Präfekt, uns Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und den Bürgermeister Gerlach anzuweisen, von seinen Forderungen Abstand zu nehmen.

Hochachtungsvoll (Unterschriften)

  1. Kommentar zur ersten Beschwerde

Der Beschwerdebrief zeigt außer den uns recht fremd anmutenden Schriftzeichen (Buchstaben) selbstverständlich auch die Denk- und Ausdrucksweise sowie die Terminologie, wie sie vor rund 190 Jahren gang und gäbe waren. Orthographie und Interpunktion wurden damals recht locker und individuell gehandhabt. Die Petition der beiden Offenbacher Juden stellt damit allein schon ein kulturelles Dokument ihrer Zeit dar. Das gilt natürlich auch für alle anderen Schreiben, die hier noch folgen werden.

Der Inhalt des Briefes von Jacob Salomon und Lazarus Bemann an sich sagt noch einiges mehr aus, was seine Eigenschaft als wertvolles Zeitdokument durchaus noch steigern dürfte:

Die beiden Männer, die da eine 20stündige und beschwerliche Reise nach Trier auf sich nahmen, möglicherweise zu Fuß oder reitend, taten dies ganz sicher deshalb, weil sie entsprechend prädestiniert waren und weil man das von ihnen erwartete. Das heißt, mindestens einer von ihnen war der von der örtlichen Verwaltung eingesetzte Judenschultheiß oder Judenobmann. Darauf deutet besonders das Verzeichnis hin, das im Beschwerdebrief zweimal erwähnt wird. Es enthält offenbar die Namen der säumigen Steuerzahler. Eine er undankbarsten Aufgaben des Judenobmanns war es, von seinen Glaubensbrüdern die Steuergelder für die Gemeinde einzuziehen, die ihm für diesen Zweck das Steuerverzeichnis jeweils zur Verfügung stellte.

Im vorliegenden Falle sah es der Obmann wohl auch als seine Aufgabe an, überzogene beziehungsweise ungerechtfertigte Forderungen abzuwehren. Überdies gab es innerhalb der jüdischen Gemeinde auch noch andere Probleme, die der Judenschultheiß zu regeln hatte.

Die Reise nach Trier hatten Jacob Salomon und Lazarus Bemann wohl auch unternommen, um an Ort und Stelle alles persönlich zu regeln, sich das Schreiben zu ersparen und mit klaren Ergebnissen zurückzukehren. Offensichtlich klappte das nicht so recht. Verwaltungen legten schon damals großen Wert auf Schriftsätze, und so mußten die beiden Reisenden sich in Trier hinsetzen und den Brief dort schreiben oder schreiben lassen.

Das alles tat ihrem Selbstbewußtsein keinen Abbruch, wie ihre im Schreiben untergebrachten Höflich­keitsformen erkennen lassen. Die Anrede am Anfang des Briefes lautet einfach und ein wenig herausfordernd oder respektlos „Bürger!“ Im Brief findet sich „Bürger Präfekt“ oder auch nur „B. Präfekt“. Auch Personalpronomen (Sie, Ihnen) werden gebracht. Über den Maire Gerlach waren Salomon und Bemann möglicherweise recht verärgert, denn er hatte ihnen ihrer Meinung nach die beschwerliche Reise nach Trier eingebrockt. Und so nennen sie ihn demonstrativ B. Gerlach (Bürger Gerlach) oder B. Meyer.

Die Grußformel lautet kurz und bündig: „Gruß und Achtung“. Da ist kein Wort zuviel und auch keines zu wenig. Zum Vergleich hier eine Formel, wie sie zu jener Zeit auch üblich war: ‚Wir haben die Ehre, Sie, Bürger Oberpräfekt, ehrfurchtsvoll zu grüßen.“

Schließlich bietet der Salemon-Bermann-Brief neben einigen Fakten zur damaligen politischen Lage unseres Heimatraumes noch eine nicht uninteressante Nebenerscheinung, nämlich die neue franzö­sisch-republikanische Zeitrechnung. Sie wurde am 21. September 1792 vom Nationalkonvent beschlos­sen und begann am folgenden Tag, dem 22. September 1792, mit dem 1. Vendemiaire 1. R.-Jahr,. deutsch: 1. Weinmonatstag im 1. Revolutionsjahr. Jeder Monat hatte 30 Tage. Am Schluß des Jahres wurden die fehlenden fünf bis sechs Tage zum Ausgleich als Schalttage eingeschoben.

Der Revolutionskalender im Überblick:

Vendemiaire           (= Weinmonat)                      22. 9.-21. 10.

Brumaire                 (= Nebelmonat)                     22. 10.-20. 11.

Frimaire                  (= Reifmonat)                        21. 11.-20. 12.

Nivöse                    (= Schneemonat)                  21. 12.-19. 1.

Pluviôse                 (= Regenmonat)                    20. 1.-18. 2.

Venöse                  (= Windmonat)                      19. 2.-20. 3.

Germinal                 (= Keimmonat)                      21. 3.-19. 4.

Florial                     (= Blütenmonat)                    20. 4.-19. 5.

Prairial                    (= Wiesenmonat)                  20. 5.-18. 6.

Messidor                 (= Erntemonat)                      19. 6.-18. 7.

Thermidor               (= Hitzemonat)                      19. 7.-17. 8.

Fructidor                 (= Fruchtmonat)                    18. 8.-16. 9.

+ 5 (6) Schalttage

Diese neue republikanische Zeitrechnung machte dem sogenannten einfachen Mann von der Straße, und nicht nur ihm, zu schaffen. Mit anderen Worten, sie bewährte sich nicht, zumal sich außer in Frankreich und in den von ihm annektierten Gebieten niemand daran hielt. Deshalb erklärte Kaiser Napoleon den Revolutionskalender am 1. Januar 1806 kurzerhand für abgeschafft und ließ den alten „Gregorianischen Kalender“, den Papst Gregor XIII. bereits 1582 eingeführt hatte, wieder zu Ehren kommen.

  1. Der Unterpräfekt antwortet

Der Beschwerdebrief der Offenbacher Juden vom 24ten Pluviôse 10. (14. Februar 1802), der in der Departements-Administration oder in der jüdischen Gemeinde in Trier verfaßt wurde, ging den langwie­rigen Behördenweg von Schreibtisch zu Schreibtisch und tauchte sogar im Arrondissement in Birkenfeld auf. Und nach fast vier Monaten rang sich der Oberpräfekt in Trier endlich zu einer für die Antragsteller negativen Entscheidung, „Beschluß“ genannt, durch. Danach wurde zuständigkeitshalber die Verwal­tung des Arrondissements Birkenfeld mit der Erledigung des Falles betraut. Das geschah am 15. Juni 1802. Leider ist der diesbezügliche Beschluß des Oberpräfekten als Schriftstück nicht mehr vorhanden. Aber das Begleitschreiben liegt vor, das nachfolgend in gegenwärtig üblicher Umgangsschrift abgedruckt ist:

Asidee’9, fei

An

den Maire zu Offenbach!

Sie erhalten hierbey, Bürger Maire, Abschrift des Beschlusses des Prefects vom 12ten dieses (Monats) (= 1. Juni 1802), welche über das Gesuch der Juden zu Offenbach wegen frhonden, freiheit, Zinssatz und Gemeinden Geld statuirt (= statuiert = bestimmt).

Ich ersuche Sie, denselben Kenntnis hiervon zu geben und auch den Vollzug zu machen.

Ich grüße Sie (Unterschrift)

Aus zwei Gründen darf vermutet werden, daß der Beschluß des Herrn Präfekten für Jacob Salemon und Lazarus Bermann eine große Enttäuschung war.

Erstens heißt es im letzten Satz des Begleitschreiben u. a.: . . . und auch den Vollzug machen.

Dies bezieht sich auf die Eintreibung der rückständigen Abgaben. Das heißt die Forderung des Maire vom 1. Februar 1802 wird als rechtens anerkannt.

Zweitens verfassen die Juden postwendend eine zweite Eingabe an die Präfektur des Saar-Departe­ments in Trier. Dies wäre nicht nötig gewesen, wenn sie mit ihrem ersten Gesuch Erfolg gehabt hätten.

Zu diesem Zeitpunkt stand also die Sache der Juden gewissermaßen auf der Kippe.         

Die zweite Petition zeichnet sich u. a. zwar durch eine sehr schöne, aber dennoch schwer lesbare Handschrift aus. Offensichtlich wurde auch dieser Brief weder von Jacob Salemon noch von Lazarus Bermann geschrieben, sondern von einem schreibkundigen Helfer aus Offenbach.

Wie auf der Kopie des Originalbriefes zu erkennen, wurden von der Verwaltung zwei Akten­notizen hinzugefügt. Von Interesse ist besonders die untere, auf die hier schon besonders hingewiesen wird.

  1. Die zweite Eingabe von Jacob Salemon und Lazarus Bermann Übertragung:

Freiheit                                                                                                                                    Gleichheit

Offenbach, den 81“ Messidor 10.
(27. Juni 1802)

Jacob Salemon und Lazarus Bermann von Offenbach jüdischer Gottesverehrung im Namen ihrer Glaubensgenossen an die Ober Prefektur vom Saardepartement

General Prefekt!

Durch ihren Beschluß vom 12″ Prairial haben Sie die Verfügung getroffen, daß der Mayer von Offenbach bevollmächtigt seyn solle in Gemäßheit des Beschlusses vom 29t“ Prairial 9. (= 18. Juni 1801) Bewohner von Offenbach jüdischer Gottesverehrung auf dem Wege der Exekution (= Vollstreckung) anzufordern, die rückständigen Gebühren einzutreiben, die in Gemäßheit der Gemeinde Statuten vom J. 1768 auch die übrigen Einwohner entrichten müssen, um den Genuß der Gemeinde Vortheile zu haben. — zu dem Ende sind wir schon wirklich mit der Exekution bedrohet; haben daher die Ehre, uns an Sie zu wenden, um unßer Gegründete Vorstellungen dagegen einzuklagen.

Wir kennen die Verfügung vom 291“ Prairial 9. (= 18. Juni 1801) besser, aber auch zugleich, welche Einschränkung dieselbe durch Ihr Rundschreiben vom 23″ Messidor 9. (= 12. Juli 1801) erlitten hat. Allso heißt es offenbar, daß nur diejenigen zur Abtragung der Gemeindegefällen angehalten werden können, die an der Gemeinde Nutznießungen anspruch machen. Dies ist aber der Fall nicht bey uns: wir entsagen allen Vortheilen der Gemeinde, hatten dieselben noch nie genossen, (erwarten?) nur den Schutz des Gesetzes, weigern uns zur Abtragung jeder legalen abgabe nicht im mindesten, und sehen daher obige Forderung als außerhalb der Gränzen des Gesetzes gelegen an. Wir bitte Sie, nun den Maire anzuhalten, mit der Exekution stille zu stehen und auch daß Sie ihre Verfügung vom 12. Prairial zurücknehmen.

Gruß und Verehrung Jacob Salemon Lazarus Bermann

Aktennotiz:

An den Maire Gerlach zu Offenbach

um nach dem anderseitigen renvoi (= Rücksendung) des Präfekts Date Beschluß vom 12″ Prairial (= 1. Juni) noch nicht zu vollziehen und auf die in gegenwärtigem angeführten Umstände neuerdings und gegründeten Bericht abzustatten.

Birkenfeld den 11ten Messidor 10t“ Jahres (= 30. Juni 1802)

für den Unterpräfekt Goerlitz

  1. Der „gegründete Bericht“ des Maire

Der in der vorstehenden Aktennotiz vorn 11ten Mehsidor 10ten Jahres (.= 30. Juni 1802) angeforderte gegründete Bericht folgte bereits zehn Tage später, nämlich am 21ten Mehsidor 10. (= 10. Juli 1802). Er umfaßt nahezu vier engbeschriebene DIN-A4-Seiten.

Zunächst läßt der Maire, den verständlicherweise große finanzielle Sorgen und solche um das Wohl seiner Gemeinden plagen, und der nicht weiß, wie er die anstehenden Reparaturarbeiten bezahlen soll, sich über die Juden und deren Haltung im allgemeinen aus. Die Erhebung der Kinder Israel in den Bürgerstand habe diese um gar nichts veredelt. Die Juden seien vielmehr hoffärtig und eigennützig geworden, verspotteten die Gemeinde und höhnten den Maire. Ihm ist also die Tatsache, daß die Juden seit 1791 gleichberechtigte Bürger sind, offensichtlich bekannt.

Dann versucht er in seinem Bericht, die Entstehung der Gemeindsleute und Hintersassen zu erklären. Der Unterschied entspringe keineswegs dem Lehenswesen, meint er. Da die Lasten für den Gemeinds­mann allzu drückend gewesen seien, habe man vor langen Jahren das Hintersassengeld eingeführt. Die 1768 erneuerte Gemeindeordnung habe für die Hintersassen 3 fl. und für die Juden 6 fl. angesetzt. Der höhere Betrag, den die Juden zu zahlen hätten, sei wegen der jüdischen Feiertage so festgesetzt. Außerdem nutzten die Juden, weil sie meist Viehhändler seien, das Gemeindeeigentum (Straßen, Brücken, Weiden) mehr als der gewöhnliche Einwohner. Und dann läßt der Maire seinem Ärger nochmals freien Lauf, indem er schreibt: Sie wollen ein neues Feudalsystem . . . einführen, wo der Jude oben und der Christ unten steht. 0 Israel, Israel!

Abschrift

Saar Departement Bezirk von Birkenfeld Mairie Offenbach R. C. Nr. 289

Der Maire von Offenbach

An

die U. Prefektur des Bezirkes von Birkenfeld

Bürger U. Prefekt!

Das von den Offenbacher Judenschaft verweigerte Gemeinde Geld betreffend.

Offenbach den 211en Mehsidor 10.

(= 10. Juli 1802)

 

Es ist nach der Bemerkung mehrerer einsichtsvoller Männern Schade, daß die Gesetze der Republik, da sie die Hebräische Glaubensgenossen zu wirklichen Bürgern des Staats aufgenommen haben, ihnen nicht auch zu gleich jene Gesinnungen mittheilen konnten, die den wahren Bürger eigentlich Karakteri­sieren. — wohin denn vorzüglich Achtung gegen bestehende Gesetze und Verfassung Gehorsam gegen die konstituierte Gewalten und Bereitwilligkeit zu Tragung der verschiedenen öffentlichen und gemeinen Lasten gehören.

Der Streit zwischen den Offenbacher Juden und der Gemeinde würde würklich jenen Männern eine neue Thatsache zur Unterstützung ihrer Behauptung darbieten, daß die Erhebung der Kinder Israels in den Bürgerstand, sie im moralischen um gar nichts veredelt, vielmehr ihren hoffärtigen, unruhigen, eigennüt­zigen Geist und ihre biblisch anerkannte Herzenshärtigkeit nur vermehrt habe.

Die christlichen Bürger, selbst von alltäglichem Schlage, würde in ähnlichem Fall sich bei der Prefektur­entscheidung beruhiget und, seines lrrthums belehrt, seine schuldige Abgabe nicht länger verweigert haben: allein so denken und handeln Lazerus Salomon (Es müßte „Jacob“ Salemon heißen), Lazerus Bärmann et Consorten nicht: Darum sind sie mit Ihren vermeintlichen, aus dem Feudalisten hergelehnten

Beschwehrden abgewiesen; so wenden sie sich gleich auf eine andere Seite, und greifen, statt den übeln Eindrücken des ersten Fehltrittes durch Folgsamkeit auszulöschen zu suchen, die Sache auf einem anderen Punkt an. — sind auch ihres Sieges im Voraus so versichert, daß sie sich nicht einmahl enthalten können, die Gemeinde wegen dieser Forderung zu verspotten, den Maire darüber zu höhnen, und sich auf eine Weise zu betragen, die allerdings Rüge verdiente, wenn man klein genug wäre ihre Unanstän­digkeiten derAufmerksamkeit zu würdigen. Unterzeichneter, statt sich hierbey aufzuhalten, wendet sich vielmehr zur Hauptsache und hoffet die Gründlichkeit der Gemeinde Ansprüche an die Reklamanten hinlänglich darzuthun.

Seit Jahrhunderten bestehet in hiesigen Gemeinden ein Unterschied zwischen den Bürgern jeder Gemeinde, wonach sie theils Gemeindsleute, theils Hintersassen sind.

Dieser Unterschied entspringt keineswegs aus dem Lebenssystem, denn in Ansehung der ehemaligen Herrschaftlichen Lasten und Abgaben wurde keine Rücksicht auf ihn genommen, sondern aus der Natur selbst des gesellschaftlichen Vertrages und aus den verschiedenen Verhältnißen beyder Klassen von Bürgern, in Ansehung gemeinen Lasten u. Utilitäten (= Nützlichkeiten). — Der Gemeindsmann war schlechterdings verbunden aller der Gemeind obliegenden Frohnden und Lasten zu tragen, die Gemeine Schulden und Kriegs praesationen (= Kriegsleistungen) aller Art, die besonders in den letzten 9 Jahren so fürchterlich drückend waren, pro rata (= dem vereinbarten Anteil entsprechend) mit zu übernehmen, zu zahlen und zu leisten, die Baukosten von Brücken, Stegen, Pflaster u. Ertregen noch neben seinen persönlichen Frohnden dabey zu tragen, — das Gemeine Faßel (= junge Rinder und Schweine), Eber, Widder aus seinem Sack mit anzuschaffen, und wenn ihn die Reyhe traf, in seiner Kost und Gefahr zu unterhalten p. p. (= perge, perge = usw.).

Diese ganze zahlreiche würklich schwehre, oft fast unerträgliche Lasten machten manchem Bürger die Annahme des Gemeinderechts unmöglich oder bedenklich, zumal da der Gemeindsmann gar wenigen Vortheil dagegen zum Voraus genoße, indem er meist nur etwas weniger an Holz und in den wenigen Gemeinden, wo die Vertheilung gemeiner Ländereyen auf etliche Jahre zum benuzen, unter den Gemeindsleuten herkömmlich warr, etwa ein geringes Stück Landes zum befruchten, vordem Hintersaß voraus hatte, der noch dazu an vielen Orten am Holzgenuß verschiedentlich mit Theil hatte, und allenthalben de facto durch heimliche Holzentwendung sich gleichen genuß in den Waldungen zu verschaffen wußte, — daher fanden sich in jeder Gemeinde sogenannte Hintersassen, die sich dieser geringen Vortheile des Gemeindsmannes gerne begaben, nur bey persönlichen Lasten, Z. E. (= zum Exempel) bey Bottengängen, Schanz und Handfrohnden zu Wegen und Stegen, Tag- und Nachtwach­ten, dem Gemeindsmann gleich arbeiteten — hingegen an den Gemeinen Schulden, Fahrten, Baukosten, Uhr, Brück, Bronnen p. p. Anschaffung und Unterhaltung des Faßelviehes ganz keinen Theil nahmen.

Da bey dieser Verfassung die Disproportion zwischen Lasten und Vortheilen für den Gemeindsmann offenbar allzu drückend ware, und man doch auch niemanden zur Annahme des Gemeinen Rechts würde Neigung oder Vermögen zwingen wollte, noch konnte, so ward das sogenannte Hintersassengeld zu einiger, wie wohl schwacher Schadloshaltung den Gemeinds Leute vor langen Jahren höchstbilliger weiße eingeführt.

In Offenbach war solches, laut der im Jahre 1768 erneuert- und bestättigten Gemeinen Ordnung zu 3 fr. von jeder Hintersassen Haußhaltung bestimmt, den jüdischen Haußhaltungen hingegen 6 fr. angesetzt nicht wegen des Unterschieds im religiösen Glauben, sondern wie der schon zu den Acten gegebene Auszug deutlich besagt, weil die Juden da ihre Feyer- und Ruhe Tage sich mit den christlichen durch kreuzen, auch selbst von den, der anderen Hintersassen obliegenden Theilnahme an den Handfrohnden, bey Anlegung und Ausbesserung der gemeinen Wegen, Straßen, Brücken, Steegen, Pflaster p. p. befreyet waren und noch sind, welche Befreyung in Offenbach desto erheblicher ist, da der Ort auf der Chaussee und an einer der Hauptstraßen nach Maynz und Mez liegt, folglich die starke paßage öftere und solidere Arbeiten an den Wegen notwendig macht. Über dem sind die Juden bekanntlich meist Viehhändler, nuzzen also destomehr an den Straßen und Brücken ab, genießen ferner mehr an der Weyde als der gewöhnliche Einwohner, waren folglich auch aus dieser Rücksicht mehr Beytrag an den Frohnden oder Vergütung in Geld, auch einen höheren Aufschlag schuldig.

Wenn nun also der bestehende Unterschied zwischen würklichen Gemeinds Leuten und Hintersassen sich auf kein absurdes in den Augen des hellen Menschen Verstandes nicht zu rechtfertigendes Feudal Gesez, sondern auf die Natur der Sache — auf Billigkeit und gesunde Vernunft gründet, so kann und darf ich doch dreist, ohne Verwegenheit voraus sezen, daß weder die Geseze der Republik, noch der Wille ihres obersten Stellvertreters im Saar Departement, die Vernichtung dieses Unterschiedes zwischen beyderley Klassen von Einwohnern verlange, in dem eine solche Verfügung in der That ungerecht und zum äußersten Nachtheil der Gemeinde seyn würde.

Es ist also hier nicht die Frage ob die Juden in Offenbach die Rechte der Gemeindsleute genießen, als wohin sie arglistig genug das Schreiben der Oberprefektion vom 23ten Mehsidor 9. (12. Juli 1801) verdrehen, dessen Gehalt ich jedoch blos aus der circulaire der Unterprefektur, vom lt“ Thermidor 9. (19. Juli 1801) kenne, sondern ob sie die Rechte des Standes genießen, die der Offenbacher gemeine Verfassung ihnen als Hintersassen gibt? und diese haben sie bis auf diesen Augenblick, ohne die mindeste Stöhrung von Seiten meiner oder der Gemeinde im ganzen Umfang genossen, sie brauchen das Gemeine Faßelvieh, Wasser und Weyde, Bronnen und Uhr, Wege, Straßen, Pflaster, Brücken und Stege, wie andere Hintersassen, nur wegen ihres Handels und vielen Viehes weit stärker nuzen sie also auch ungleich mehr ab, und thun doch nicht die mindeste Arbeit mit den andern Einwohnern, wenn vom ausbessern und Wiederherstellen die Frage ist, sondern sehen dann mit verschränkten Armen zu, wie jene sich und ihr Vieh daby quälen.

Demohngeachtet sind sie schamlos genug nach der geflißentlichen Verdrehung des Prefektur Schrei­bens vom 23″ Mehsidor 9. zu sagen, sie genössen keine gemeine Vortheile, hätten sie noch nie genossen, und entsagten ihnen auch für die Zukunft!

Ich wäre würklich begierig zu sehen, wie die reclamanten in Offenbach bestehen wollten und könnten, wenn ihnen Wasser und Weyd, Weg und Steg, der Gebrauch des Faßelviehes bey ihrem Milchvieh untersagt würde? — Doch das rechnen sie für nichts, auch die Arbeiten und Kosten, die die anderen Einwohner dabey haben, kommen bey Ihnen nicht in Anschlag. — Kurz sie wollen ganz frey sitzen und zusehen, wie die andern Einwohner für sie frohnden und zahlen. — sie wollen die Herren seyn, die übrige aber als Knechte für sich arbeiten lassen. — sie also wollen ein neues Feudalsystem im umgekehrten Sinne einführen, wo der Jude oben und der Christ unten stehet. Muß man nicht hier mit dem Propheten ausrufen 0 Israel, Israel!

Wie ungleich billiger denkt und handelt Gemeind und Mayerey gegen die Jüdischen Nebenbürger, da sie aus, leider möcht man sagen übel angebrachter Schonung, die auf die Gemeine Ordnung sich stüzzende ohne dem geringe jährliche Abgabe derselben zur Gemeinen Kasse, auf 4 fr., also um eine ganze Terz freywillig herabgesetzt, und sie mithin beynahe den Christlichen Hintersassen gleich gestellt hat, die wegen der vielen Gemeinen Frohnden ungleich mehr in Offenbach belästigt sind, als der Saamen Abrahams.

Weiter ein Wort über diesen Gegenstand zu verlieren, halte ich für unnöttig. Die Sache ist hinlänglich erläutert; Recht und Billigkeit mögen die Entscheidung geben, die ich denn in EhrfurchtsvollerZuversicht erwarte, mit welcher ich die Ehre habe grüßend zu schließen

Grus und Respekt Gerlach

  1. Der zweite Bericht des Maire von Offenbach

Das erste Schreiben des Offenbacher Maire brachte offensichtlich nicht den von der Gemeinde erwarteten Erfolg. Es wurde wahrscheinlich als wenig begründend angesehen. Vielleicht fehlte ihm die Überzeugungskraft. Jedenfalls wurde der zweiten Petition der Juden stattgegeben. Und der Maire erhielt das vom 1ten Fructidor 10. (= 18. August 1802) datierte Abmahnungsschreiben. Der Bürgermeister, höchst unzufrieden mit dieser Entwicklung der Dinge, setzte sich offenbar spontan nochmals an seinen Schreibtisch und brachte am 9. Fructidor 10. (= 27. August 1802) abermals ein langes Schreiben, an die

Oberpräfektur in Trier gerichtet, zu Papier, in dem er den Eingang des o. a. Abmahnungsschreibens bestätigte, nochmals seine Bedenken und Ansichten darlegte, anklingen ließ, daß auch die ganze Gemeinde „die Sache treibe“ und man doch noch auf eine positive Entscheidung hoffe.

Auf einen Satz aus dem Schreiben des Maire soll an dieser Stelle besonders aufmerksam gemacht werden:

Was den Juden gilt, muß doch auch den Christen zu gut kommen: folglich müssen mit jenen, die schon allein die Quart der Einwohner ausmachen, auch die Christliche Hintersassen für frey von der Abgabe in die Gemeinde erklärt werden.

Dieser Satz bestätigt einmal mehr die Vermutung, daß die Juden mit ihrer zweiten Eingabe Erfolg hatten und der Maire sich eigentlich die Mühe, ein zweites Schreiben zu erstellen, hätte ersparen können. Wenn er dennoch schrieb, so mag ihn eine ganze Reihe von Gefühlen dazu getrieben haben, ja dürften Enttäuschung, Ärger, Verantwortungsbewußtsein, Trotz, Wut und Hoffnung mit im Spiele gewesen sein. Wer will das heute entscheiden?

In dem oben zitierten Satz ist noch von der Quart der Einwohnende Rede. Offenbach hatte 1802 nur rund 450 Einwohner. Also lebten laut Aussage des Maire um 1802 etwa 110 Juden in der Glangemeinde.

Es folgt nachstehend der zweite Brief des Maire:

Offenbach 9ten fructid. 10. (27. Februar 1802)

Der Maire von Offenbach

An

die Ober Prefectur des Saar Departements zu Trier

Bürger Ober Prefect!

Ihr Abmahnungsschreiben vom 1ten dieses Monates ist mir richtig zugekommen. Ich werde es befolgen — und keinen Schritt tun, biß ich ganz sicher bin, wie weit ich mit Genehmigung der obersten administrativen Behörde gehen kann und darf.

Ich nehme daher die Freiheit Ihnen Bürger Ober Präfekt meine Zweifel vorzulegen, welche mich veranlaßt haben zu glauben, daß die Juden in Offenbach allerdings schuldig sexyen, nicht nur 3 fr. jährlich in die Gemeinde zu bezahlen wie die Christi. Hinterlassen, sondern noch 1 fr. weiter, weil sie nach der Verfassung auch selbst von jenen Gemeinen Fronden am pflastern durch den Flecken, an Brücken, Weg u. Stegen frei sind, zu denen die Christliche Hinterlassen angezogen werden.

Ich glaube in meinem letzten ausführlichen Bericht dargetan zu haben, daß der seit undenklicher Zeit in ganz Deutschland bestehende Unterschied zwischen Gemeindsleuten, die gegen den vollen Genuß der bürgerlichen Gemeinen Nutzungen alle Gemeine Lasten tragen müßen, und Hintersassen, die in hiesiger Gegend außer dem gemeinen Holz und Land sonst an allen gemeinen Nutzungen Theil haben, dagegen jährlich etwas ständiges in die gemeine Kasse entrichten, übrigens aber sich an gemeine Schulden, realfrohnden p. p. nicht kehren, sondern blos bei gemeinen Handfrohnden mitarbeiten, daß, frage ich, dieser Unterschied zwischen Gemeindsleuten u. Hintersassen kein Ausfluß des ehemaligen Feudalsystems seie, sondern sich auf Billigkeit, gesunde Vernunft und den ursprünglichen Vertrag zwischen beiderseitigen Arten von Einwohnern gründe.

Auch habe ich alles genauen Nachsuchens und Nachforschens ohngeachtet nicht finden können, daß dieser Unterschied durch das gesetzliche Verwaltungs System aufgehoben seie.

Wenn also, wie ich voraussehe — und dieß ist die Hauptfrage, auch in der Republik Hintersassen, die minder vollständige Bürger existieren dürfen, so kann ich nicht begreifen, mit welchem Schein, unsere Juden sich diesem Namen u. damit verbundene Abgaben in der Gemeinde entziehen wollen und bitte Sie, Bürger Oberpräfekt so respektvoll als dringend über eine positive klare Entscheidung dieser Frage.

Erkennt die Republik einen Hintersassenstand, so habe ich in bejaendem Fall gewonnenes Spiel, so wie ich im verneinenden Fall zurückbleiben muß.

Zwar haben die Juden, um selbst in dem Fall frei zu bleiben, wenn das Gesez Hintersassen zu ließe, wiederholt erklärt und behauptet, sie hätten nie Gemeinen Nuzen gezogen, und verlangten ihn auch jezo nicht: – allein ich habe in meinem vorigen Bericht schon gezeigt, daß dieses eine leere Chicane sei, die Juden tränken ihr Vieh, wo andere auch tränken, brauchen die Bronnen gleich andern und weiden ihr Vieh nicht blos auf ihrem unzulänglichen Eigenthum, sie geniesen Uhr und Glock und von der Feueranstalte so gut wie jeder andere Einwohner – die Polizei wacht und sorgt für sie, wie für jeden Einwohner, sie brauchen Weege und Steege, Pflaster und Brücken, noch mehr als manche christliche Einwohner, wegen ihrem Viehhandel, Hausieren und sonstiger Krämerei, und verderben daher in einem Jahre wohl an derselben mehr, als der Christ in Zehn.

Ich kann Ihnen Bürger Ober Präfekt auch offen versichern, daß der ganze übrige Genuß von gemeinen Utilitäten (= Nützlichkeiten), den der würkliche Gemeindsmann odervollständige Bürger als Praecipuum (= das besondere Recht) voraus ziehet, jährlich keinen Reichsthaler höchstens ausmacht, oft kaum ein Drittel davon.

Es ist also eine wahrhaft leere Spiegelfechterei, mit der die Juden, Sie, Bürger Ober Präfekt blos zu überraschen und zu hintergehen suchen, wenn sie durch Verzichtserklärung auf diesen äußerst unbeträchtlichen Vortheil und durch Übergehung aller übrigen, ohne die sie doch unmöglich im Ort wohnen können, sich heraus wickeln wollen.

Was den Juden gilt, muß doch auch den Christen zu gut kommen: folglich müssen mit jenen, die schon allein die Quart der Einwohner ausmachen, auch die Christliche Hintersassen für frei von der Abgabe in die Gemeinde erklärt werden: mithin bleiben mir nur noch die sogenannte Gemeindsleute zur Bestreitung der Gemeinen Lasten und Frohnden übrig.

Wenn nun dieser so sehr verminderte Theil der Gemeindsleute siehet, daß die Last auf ihn allein fällt, so machen diese es zu verläßig wie die Juden, renucieren (= renoncieren = verzichten) gleichfalls auf den gemeinen Nuzen, den sie voraus vor den Hintersassen beziehen, und machen sich ebenmäßig frei ­bevor ein Jahr vergehet, habe ich sicherlich nicht einen Gemeindsmann mehr in Offenbach – mit wem soll ich hernach Bronnen, Weeg und Steeg, Pflaster und Brücke reparieren, da keine gemeine Einkünfte da sind und alles Frohnden frei ist. Unsere ganz unentbehrliche Glahnbrücke, welche die beide Hälften des Bannes mit einander verbindet, ist so schadhaft, daß sie würklich gleich jezo repariert werden solle. Alle Beifuhr und Natural handfrohnden abgezogen, wird sie nach den Überschlag auf 350 fr. kosten, aber nun, wird diese so presante (= pressante = dringende) reparatur stocken, weil so viele Einwohner frohnden frei sind – und bald alle es durch Aufgebung des gemeinen Bürgerrechts sein werden.

Denn wer arbeitet gerne für seinen Nebenbürger, während dieser die Hände in den Schoos legt und jenen verspottend sich doppelt kizelt, wie die Juden schon dermalen ohne Scheu thun?

Es ist endlich, um noch eine schließliche Hauptbemerkung an zu hängen etwas äußerst undankbares und jüdisch niederträchtiges in dem dermaligen Betragen und Gesuch der Juden.

Die Gemeinde Offenbach hat während dem letzten Krieg durch Requisationen, Lieferungen und Fuhren wenigstens etliche 1000 fr. Kosten gehabt, die nach der gemeinen Verfassung lediglich von den Gemeinsleuten getragen und bezahlt worden sind, ohne daß man den Juden und anderen Hintersassen einen Heller über das Herkömmliche abgefordert hätte, ja, ohne der auf 1160 fr. im Jahr 1794 dem Orth Offenbach angesezte und von den Gemeindsleuten bezahlten Branndsteuern zugedenken, wozu kein Jud, ohnerachtet der so großen und dringendem Nothfall – und ohnerachtet der Juden Häußer sowie der Christen Häußer in Gefahr waren, damals etwas freywillig noch bis auf diese Stunde, ohne äußerste Zwangsmittel beitragen wird. Damals stünde die Verfassung den Juden an, die bei dem vermehrten Handel und Wandel vieles gewonnen: allein statt erkenntlich für diese bisherige Nachsicht der Gemeinde zu sein, die denn doch bei den übermäßig ungewöhnlichen Lasten wohl einen außerordentlichen Beitrag von den Hinterlassen, ohne unbilligkeit hätte fordern können, suchen die Juden sich auch noch

von der geringen Abgabe zu befreyen, die Sie tür den Genug so vieler Voaheije seil Jahrhunderten 

N«.h hat keiner mn allen Christ,’iahen Hintersassen eine unmoralische Forderung aufgestellt: man 

muß scheinbar ein Judo sein, um sich nicht dabey zu schämen, 

Eben dieses hat den wahrhaft gerectdenn Unwillen der Gemeinde erregt, die die Sache treibr, 

und. enM1/osæn. kein erlaubtes Mittel unversucht zu lassen, mir dringendst angetragen hat, ihnen den 

wahren Ve,fia/t der Saohe hier næhrnals vorzulegen und mich belehren zu lassen, 

Erwägen Sie, Bürger Obe,prålekt in Ihrer Weisheit die Sache, die Wück/ich sehr wichtig und von grosem 

Einfluß auf alle Gemeinden dgs ganzen ist. 

Ich habe die Ehre Sie, Bürger Oberpråfokt, in baldig gütigst gefälliger positiver Entscheidung 

ehrfurchtsvollst zu 

  1. Das gibt

Es ist nicht ob der Schriftve*ehrzwischen den Offenbacher Juden und dem Saar-Departement 

sowie der zwischen dem Maire Von Offenbach und dem pratekten des Saar-Ogpartenngntg nach 802 

noch weitergeführt wurde. Die Möglichkeit, daß der Oberpräfekt den Maire Gerlach aul dessen Schreiben 

vom 27. Februar 1802 abschließend einer Antwort würdigte, kann nicht ausgeschlossen werden. Aber 

wenn er es tat. dürfte er seiner einmal getroffenen Entscheidung geblieben Saim Man dart also getrost 

annehmen. daß Jacob Salemon und Lazarus Bermann und ihre Glaubensbrüder sich durchpsetzt 

hatten, daß also die den Juden abverlangte Gemeindeabgabe zukünftig entfiel 

Übrigens sich im ganzen Saar-Departement ähnlk:h strittige Fragen wie in Ottenbach ergeben 

und über einige Zeit hingezogen zu haben. und als dann 1805 ein Wechsel in der Führung des Saar- 

Departements eintrat, machte der neue präfekt endgültig -reinen Tisch“, irvd,enn er am 28. Februar 

die beiden umstrittenen Beschlüsse vom PrairiaJ q Jahrs und 2F Messidor desselben Jahrs 

seines Vorfahren Vorgängers) zwücknahrn beziehungsweise aufhob, weil sie mir der Gesetzgebung 

des französischen fiejGhes unverträglich Damit war der ganze W.tbOl um dio Steuern und 

Abgaben der jüdischen Einwohner endgültig awggestanden. In Ottenbach hatte dar Vo•rgang den 

Beteiligten Mühe und zusätzliche Arbeit B:hvie Streit und Ärger eingebracht. Und das Vemältnis zwischen 

Christen und Juden War hier aul einen Tiefpunkt 

Dennoch. Mit dom nachfolgenden Beschluß des Präfekten des Saar-Departements vom 28. Februar 

1806 taten die Offenbacher Juden ihren ersten Schritt in Richtung Emanzipation. wiewohl sie in dem 

Schriftstück nicht ausdrücklich erwähnt werden (abgedruckt auf der Vorseite). 

  1. Der Beginn Emanzipation

Entsprechend dom Ruf nach „Freiheit. Gleichheit. Brüderlichkeit‘. der Losur,g Parole der Franzö- 

gischen Revolution, erkannte Frankreich 179″. wie schon an anderer Stelle erwähnt. als erstes 

europäisches Land seinen Juden die volle bürgerliche zu. Für die Bürger. 

die in den linksrheinischen deuts:hen. inzwischen aber von Frankreich annektieren Gebieten. lebten. 

begann die Zeit der Emanzipation allerdirvg:s erst um 1798 cxier gar noch später, v/•.e am Beispiel 

Offenbach am Glan mit Hilfe des vorstehenden umfangreichen Schriftverkehrs aufgezeigt wird. 

Am 11 _ Marz 1812 auch König Friedrich Wilhelm von Preußen 1797—1840) ein 

dig der Juden dem preußischen Staate, Im wesentlichen bestimmten die 

Paragraphen dieses Erlagses, daß die Juden zukünftig geien, also die preußische Staatsbür- 

gerschatl besäßen. Da dic Juden damals zumeist nur einen Namen trugen. mrda artgaordnet, daß sie 

in Zukunlt neben dem Vornamen auch einen Familiennamen zu führen notlen. Außerdem billigte rnan 

ihnen die gleichen Rechte und Freiheiten zu, wie sie die Christen besaßom Ja, man wstamdihnen auch 

das Recht zu, Grundstücke zu erwerben. Die bis dahin üblichen Einschränkungen hinsichtlich der Berufswahl wurden aufgehoben. Das heißt, die Juden wurden zu allen Berufen zugelassen, auch zu akademischen»

In England erfolgte die Gleichstellung der Juden erst im Jahre 1858, in Osterreich 1867, in Italien 1870 und in der Schweiz 1874.“

Das Edikt Friedrich Wilhelms III. von 1812 war Teil der preußischen Reformgesetzgebung, die sich nicht erst nach der Niederlage Preußens von Jena und Auerstädt im Jahre 1806 und dem Friedensschluß mit Napoleon im Jahre 1807 in Tilsit als zweckmäßig herausstellte. Männer wie Reichsfreiherr vom und zum Stein, Freiherr von Hardenberg und Gerhard von Scharnhorst zum Beispiel waren die treibenden Kräfte der Reformen. Es wurde 1807 die Erbuntertänigkeit der Bauern aufgehoben, 1808 trat die neue Städteordnung, deren Kernstück die Selbstverwaltung der Bürgerschaft war, in Kraft. Es wurden Fachministerien eingeführt und eine Vereinfachung der Verwaltungsbehörden veranlaßt. Und im Jahre 1814 setzte man eine neue Heeresordnung in Gang.

Napoleon indessen führte 1812 Krieg gegen Rußland, erreichte Moskau und kehrte nach der Vernichtung seines Heeres nach Paris zurück, um bald darauf mit einem neuen Heer durch die deutschen Lande zu ziehen. Vom 16. bis 19. Oktober 1813 kam es zur sogenannten Völkerschlacht bei Leipzig. Die verbündeten Heere Preußens, Rußlands, Osterreichs und Englands siegten. 1814 zogen die Sieger in Paris ein. Napoleon entsagte der Krone und erhielt die Insel Elba als Fürstentum zugewiesen. Aber 1815 ergriff der Exkaiser für 100 Tage nochmals die Herrschaft in Frankreich, wurde bei Waterloo von Blücher und Wellington abermals geschlagen und diesmal auf die Insel St. Helena verbannt.

1814 und 1815 trat der Wiener Kongreß zusammen, um das europäische Staatengefüge, das unter Napoleon etwas durcheinander geraten war, wiederherzustellen oder auch neu zu ordnen.

Auf diese Weise kamen gewisse linksrheinische Lande 1815 zu Preußen. In unserem Heimatraum entstand 1816 das Fürstentum Lichtenberg, das dem Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha angeschlos­sen wurde. Auch Offenbach am Glan gehörte damals zum Fürstentum Lichtenberg. Dies wurde 1834 von Preußen aufgekauft und in „Kreis St. Wendel“ umbenannt. Den teilte man nach dem Ersten Weltkrieg infolge Abtretung des Saarlandes an Frankreich. Auf deutscher Seite blieb der sogenannte Restkreis St. Wendel-Baumholder, und zwar bis 1937. Ab diesem Zeitpunkt gehörte jener Restkreis zum Landkreis Birkenfeld im Regierungsbezirk Koblenz. Im Zuge der jüngsten Verwaltungsreform und Raumneuord­nung in Rheinland-Pfalz schließlich wurden das Amt Grumbach und Teile um die Lichtenburg, also nur ein Teil des früheren Restkreises St. Wendel-Baumholder, mit Wirkung vom 7. Juni 1969 dem Kreis Kusel im Regierungsbezirk Rheinhessen-Pfalz zugeteilt.

Doch zurück zur sogenannten Emanzipation der Juden. Alle die Gleichstellungserlasse oder -bestim­mungen bedeuteten nun keineswegs, daß „Liberté“ und „Egalité“ sich für die jüdische Minderheit automatisch und schlagartig verwirklichten. Es stand zwar alles ordentlich auf dem Papier, dies aber ist ja bekanntlich geduldig. Wohl konnte man einen gewissen Fortschritt nicht übersehen, der Weg zum endgültig gleichberechtigten Staatsbürger blieb dennoch weit und steinig. Darüber erfuhren wir ja schon einiges aus dem hier zuvor aufgezeichneten Schriftverkehr. Die Juden mußten sich danach also recht hartnäckig um ihre Rechte bemühen. Und im Zuge dieser Bemühungen stießen sie außer bei den staatlichen Stellen nicht selten auch bei ihren christlichen Mitbürgern auf Unverständnis und gar Ablehnung, zumal auch sie selbst manchmal wenig sensibel zu Werke gingen, den Bogen womöglich überspannten und örtlich Fehler begingen.

Dennoch, im Vergleich zu Flugblättern andern Orts kann man es als vergleichsweise harmlos bezeich­nen, wenn der Maire von Offenbach seinerzeit schrieb:

Es ist . . . schade, daß die Gesetze der Republik, da sie die Hebräische Glaubensgenossen zu wirklichen Bürgern des Staates aufgenommen haben, ihnen nicht auch zugleich jene Gesinnungen mittheilen konnten, die den wahren Bürger eigentlich karakterisieren.

Sie (die Juden) wollen die Herrn seyn, die übrige aber als Knechte für sich arbeiten lassen.

Sie also wollen ein neues Feudalsystem im umgekehrten Sinn einführen, wo der Jude oben und der Christ unten stehet.

Verbitterung, Unverständnis, Sorge um die Wohlfahrt der Gemeinde, Resignation sprechen aus diesen Zeilen, aber wohl kaum Judenhaß.

Zahlreiche Juden Preußens und anderer deutscher Länder hatten sich 1813/14 aus Dankbarkeit für die ihnen gewährten Bürgerrechte, die u. a. auch eine Verwendung im Staatsdienst in Aussicht stellten, als Freiwillige zu den Befreiungsheeren gemeldet. Aber nachdem Napoleon besiegt worden war, wollte der Staat sich nicht mehr so recht an seine Zusagen erinnern, zumal der Wiener Kongreß 1816 in der Schlußakte mehr oder minder eine erneute Entrechtung der Juden legalisierte.

In Preußen soll man die politischen Reformpläne in den Aktenschränken verschlossen haben. Ja, es kam sogar in einigen deutschen Städten zu judenfeindlichen Ausschreitungen, z. B. in Hamburg, Frank­furt/M. und Würzburg.

Diese Juden, die hier unter uns leben, die sich wie verzehrende Heuschrecken unter uns verbreiten und die das ganze preußische Christentum mit dem Umsturz bedrohen, das sind die Kinder derer, die da schrieen: kreutzige kreutzige! Nun auf zur Rache! Unser Kampfgeschrey sey Hepp! Hepp! Hepp!!! Aller Juden Tod und Verderben. Ihr müßt fliehen oder sterben!

Dieser Flugblatt-Text einer antijüdischen „Hepp-hepp-Hetze“ aus dem Jahre 1819 ist geschicht­lich belegt. Wieder einmal drängte der Antisemitismus an die Oberfläche und erregte Aufsehen und Furcht.

Dennoch, ohne die entsprechenden Beschlüsse der französischen Nationalversammlung, ohne die Schrittmacherdienste der Französischen Revolution, ohne die napoleonischen Expansionskriege und ohne das Edikt von Friedrich Wilhelm III. wäre es wohl kaum oder überhaupt nicht zur Emanzipation der Juden gekommen. Ihre staatsbürgerliche Gleichstellung schaffte tatsächlich erst die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871. Trotzdem blieb weit im Hintergrund immer noch eine gewisse Restunsicherheit zwischen gesetzlicher Bestimmung und Wirklichkeit. Dies mag die Ursache dafür gewesen sein, daß sich im vorigen Jahrhundert viele Juden von ihrer angestammten religiösen Gemeinschaft trennten und taufen ließen. Man wollte ganz dazu gehören. Die meisten Juden aber blieben ihrem Glauben treu und fühlten sich dennoch als Deutsche. Die Aufhebung des Berufsverbots für Juden wirkte sich übrigens äußerst segensreich aus. Christen und Juden lieferten in der Zeit der Emanzipation gleichermaßen auf allen Gebieten des Lebens ihre Beiträge für Deutschland und seine Menschen.

  1. Bedeutende Juden in Deutschland

Stellvertretend für die vielen Großen unter den deutschen Juden, die Hervorragendes leisteten, folgt hier eine kleine willkürliche Auswahl-Liste:

Baeyer, Adolf von

1835-1917, Chemiker, Professor, erwarb sich Verdienste um die deut­sche Farbstoffindustrie, erhielt 1905 den Nobelpreis für Chemie

Ballin, Albert

1857-1918, Generaldirektor der Hamburg-Amerika-Linie (Hapag), Wilhelm II. nannte ihn „Freund“

Bergner, Elisabeth

geb. 1897, Schauspielerin, Charakterdarstellerin von Bühne und Film

1850-1932, Politiker und Publizist, führender Theoretiker der Sozialde­mokraten, von 1920-1928 Mitglied des Deutschen Reichstages

Bernstein, Eduard

Blech, Leo

1871-1958, Komponist und Dirigent, Generaldirektor der Städtischen Oper Berlin

Born, Max

1882-1970, Physiker, Professor in Berlin, Frankfurt/M., Göttingen, Cambridge, Edinburgh, 1954 Nobelpreis für Physik

Dernburg, Heinrich

1829-1907, Rechtsgelehrter, Mitglied im Preußischen Herrenhaus, schrieb mehrere Lehrbücher

Ehrlich, Paul

1854-1915, Chemiker, Serumsforscher, u. a. Direktor des Staatlichen Heilserum-Instituts in Berlin-Steglitz, erhielt 1908 den Nobelpreis für Medizin

Einstein, Albert

1879-1955, Physiker, u. a. Leiter des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik in Berlin, Relativitätstheorie, 1921 Nobelpreis für Physik

Fall, Leo

1873-1925, Kapellmeister in Berlin, Hamburg, Köln, Operettenkompo­nist, „Der liebeAugustin“, „Der fidele Bauer“, „Die Dollarprinzessin“, „Die Rose von Stambul“ u. a.

Fürth, Henriette

1861-1939, Schriftstellerin und Sozialpolitikerin, sozialdemokratische Stadtverordnete in Frankfurt/M.

Haber, Fritz

1868-1934, Chemiker, entwickelte mit Hilfe der BASF die Hochdruck­synthese des Ammoniaks aus Stickstoff und Wasserstoff, 1919 Nobel­preis für Chemie

Heine, Heinrich

1797-1856, Dichter, Gedichte und Erzählungen, Gesamtausgabe sei­ner Werke in 21 Bänden, trat zum Christentum über

Hertz, Gustav

1887-1975, Physiker, untersuchte den Einfluß von Elektronen auf die Atome, 1926 Nobelpreis für Physik

Hertz, Heinrich

1857-1894, Physiker, schuf die Grundlagen für die elektrische Nachrichtenübermittlung, Maßeinheit 1 Hz = 1 Schwingung pro Se­kunde

Heyse, Paul

1830-1914, Dramatiker, Novellist, 1910 Nobelpreis für Literatur

Kortner, Fritz

1892-1970, Schauspieler und Theaterregisseur in Wien, Berlin, Dres­den, London, USA, München

Lassale, Ferdinand

1825-1864, Schriftsteller, Politiker, Sozialdemokrat, Begründer des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, dessen Präsident er 1863 wurde

Liebermann, Max

1847-1935, Maler, einer der bedeutendsten Vertreter des deutschen Impressionismus, Professor an der Akademie der Künste in Berlin

Liebig, Justus von

1803-1873, Chemiker, mit 21 Jahren Professor in Gießen, von größter Bedeutung waren seine Erkenntnisse auf den Gebieten der Ernährung von Pflanzen und Tieren sowie der Stoffwechselprodukte

Loewe, Ludwig

1837-1886, Großindustrieller, Politiker, Gründer der Firma Loewe & Co., Abgeordneter des Preußischen Landtags und des Deutschen Reichstags

Lubitsch, Ernst

1892-1947, Filmregisseur und Filmproduzent

Marx, Karl

1818-1883, Sozialist, „Vater“ (zusammen mit Friedrich Engels) des Marxismus, Hauptwerk „Das Kapital“, war jüdischer Herkunft, getauft

Massary, Fritzi

1882-1969, Operettensängerin und Schauspielerin in Wien, Hamburg, Berlin, ging 1933 in die USA

Mendelssohn, Moses

1729-1786, Philosoph, Freund Lessings, übersetzte für die Juden den Pentateuch und die Psalmen aus dem Hebräischen ins Deutsche, verfaßte viele religionsphilosophische Bücher und Schriften. Zitat: „Ein jeder lebe seines Glaubens und seiner Uberzeugung und liebe seinen Nächsten wie sich selbst.“

Mendelssohn-Bartholdy, Felix 1809-1847, Komponist, bedeutender Künstler der Romantik, kompo-

nierte Ouvertüren, Sinfonien, Violinkonzerte, Kammermusik, Lieder, Oratorien u. a.

Offenbach, Jacques (Jakob) Rathenau, Walter

1819-1880, geb. in Köln, gest. in Paris, „Vater der Operette“

1867-1922, Großindustrieller, Schriftsteller, Politiker, Präsident der AEG, 1921 Minister für Wiederaufbau, 1922 Außenminister, schloß den Rapallovertrag mit Rußland, wurde ermordet

Reinhardt, Max

1873-1943, Schauspieler, Theater- und Filmregisseur, wirkte haupt­sächlich in Wien und Berlin

Rosenthal, Philipp

1855-1937, Großindustrieller, Begründer der Rosenthal Co AG von 1879 in Selb, Bayern

Rothschild, Meyer Amschel

1743-1812, Bankier, kam aus kleinen Verhältnissen, vererbte an seine fünf Söhne, die „Fünf Frankfurter“, eine bedeutendes Vermögen. Der älteste Sohn übernahm das Stammgeschäft in Frankfurt/M., seine vier Brüder wurden einflußreiche Staatsbankiers in Wien, London, Neapel und Paris. Alle fünf wurden von Kaiser Franz I. von Osterreich in den erblichen Adelsstand erhoben.

Tauber, Richard

1892-1948, Sänger in Chemnitz, Wien, Berlin, München, er errang

Weltruhm

Tucholsky, Kurt

1890-1935, Publizist, Schriftsteller, Pseudonyme: Peter Panter, Theo­bald Tiger, Kaspar Hauser, Ignaz Wrobel

Zweig, Arnold

1887-1968, Schriftsteller, erhielt 1915 den Kleistpreis, emigrierte 1933 nach Palästina, kehrte 1948 zurück, gehörte in der damaligen DDR der Volkskammer an und war Präsident der Ostberliner Akademie der Künste

  1. Offenbacher Juden und Christen um 1900

Wenn man auf der Suche nach brauch- oder verwertbarem „Material“ alte Chroniken oder Protokollbü­cher liest oder in vergilbten und verstaubten Akten herumstöbert und Schriftsätze zu entziffern trachtet, findet man natürlich die eine oder andere wesentliche Eintragung sowie diese oder jene interessante Begebenheit, die festzuhalten sich lohnt. Darüber hinaus aber offenbart sich einem aufmerksamen und sensiblen Leser auch ein gewisser Zeitgeist.

Konkret heißt das, die Konfrontation zwischen den Offenbacher Juden und Christen, wie sie sich noch 1802 darstellte, nahm in den folgenden Jahren zusehends ab und wandelte sich beträchtlich. Mehr oder minder traf das natürlich auch für andere Orte oder Landesteile zu.

180

Bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts hatte man nicht nur zu einem vernünftigen Umgangston gefunden, sondern befleißigte man sich von beiden Seiten her auch eines vom ehrlichen Willen sowie von gegenseitiger Achtung und Toleranz geprägten Miteinanders. Diese Erscheinung dauerte an bis in die ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts.

Das bestätigen auch ein paar Zeilen aus einem Brief vom 28. Februar 1988, den eine ehemals in Offenbach beheimatete Jüdin an die Tochter ihrer christlichen Freundin schrieb. Bei der Briefschreiberin handelt es sich um Frau Eva Simon, geborene Heymann. Die alte Dame dürfte heute über 80 Jahre alt sein. Sie erzählt u. a.:

Zu meiner Zeit (ca. 1915-1920) waren nur noch 7 jüdische Familien da (in Offenbach) und lebten wir sehr einig mit allen Menschen. Mein Bruder (Kurt) und ich hatten nur christliche Freunde und merkte man keinen Unterschied. Unsere Nachbarn waren alle Christen. Ich war jeden Tag in Eurem Haus, um Deine Mutter abzuholen und zur Schule zu gehen. (Beide Jugendfreundinnen besuchten damals die evange­lische Schule in Offenbach.) Unsere Nachbarn waren Wingertszahn, Schlemmer, Hahn, Rauch, Lang und Mathias, alle sehr liebe und gute Menschen.

Vor nunmehr beinahe 130 Jahren, nämlich 1862, gründeten einige aufstrebende Offenbacher Einwohner den sogenannten „Bürgerverein“. Dieser gliederte sich in drei große Abteilungen, nämlich in den Lese-Zirkel, dem eine Leihbücherei zugeordnet war, eine Gesangsabteilung (= Männergesangverein, hervor­gegangen aus dem von Pfarrer Schneegans bereits 1845 gebildeten Sängerchor) sowie eine Gruppe oder Abteilung zur Förderung von Bildung und Geselligkeit. 1872 wählte die Generalversammlung folgenden Vorstand: 1. Vorsitzender David Wildberger, 2. Vorsitzender Christian Orth, Schriftführer August Wingertszahn, Kassierer Georg Hahn, Bibliothekar Christian Conrath

Im Bürgerverein waren nicht nur Christen, sondern auch Juden vertreten. Es ist folglich durchaus die Vermutung zulässig, daß beide Gruppen ein vernünftiges Verhältnis zueinander gefunden hatten. Vorstand und Vereinsmitglieder achteten sogar streng auf Einhaltung von Gleichberechtigung und Toleranz. Eine Eintragung im Protokollbuch vom 29. Juli 1911 z. B. lautet:

Anläßlich einer Fahrt des Vereins nach Eßweiler war es zwischen einem ev. und kath. Mitglied zu einem Streit gekommen. Das ev. Mitglied hatte einem kath. Mitglied gegenüber einen Ärgernis erregenden Ausdruck gebraucht. Beschluß: Wir ev. Mitglieder erklären ausdrücklich, daß wir diese Auffassung nicht teilen, sondern nach wie vor an dem Grundsatz des Vereins festhalten, eine Gleichberechtigung seiner Mitglieder aller Confessionen zu wollen und zu garantieren.

Es bahnte sich also um oder schon vor 1860 in Offenbach eine Zeit an, die geprägt wurde vom guten Willen aller Bevölkerungsgruppen. Man ging aufeinander zu, gestaltete das Leben gemeinsam, strebte gemeinsam eine Erweiterung des geistigen Horizontes an, trat gemeinsam für Geselligkeit ein und vergaß darüber keineswegs die Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse. Gerade daran hatten die etwa 30 hier ansässigen jüdischen Familien einen erheblichen Anteil. So konnte der Chronist 1878 festhalten:

Offenbach ist ein (Markt)flecken geworden und hat sich nach den Freiheitskriegen bis heute durch Wohlstand emporgeschwungen.

Dieses Aufwärtsstreben drückte sich übrigens auch in der Entwicklung der Einwohnerzahl aus. Hatte Offenbach um 1800 nur rund 450 Einwohner einschließlich der etwa 110 Juden, so ergab eine Volkszählung von 1905 hier 751 Seelen. Die Zahl der Juden hatte sich allerdings verringert.

Eine alte und vor allem vollständige Mitgliederliste des Offenbacher Bürgervereins gibt es offenbar nicht mehr. Trotzdem konnte eine ganze Reihe jüdischer Mitglieder ausgemacht werden. Jeweils auf Beschluß der Generalversammlung wurden zum Beispiel als Mitglieder aufgenommen am

  1. 1.1873

Jacob Mersfelder

  1. 4. 1891

Salomon Simon

Lazarus Lazarus

Leon Herz

Gabriel Roos

  1. 2. 1894

Sisthus Roos

  1. 1.1875

Sigmund Roos

  1. 6. 1907

David Levy

1.12.1876

Bernhard Roos

Hugo Heymann

  1. 8. 1880

Daniel Herz

  1. 11. 1907

Arthur Roos

Samuel Lazarus

Alfred Roos

  1. 1. 1884

Maier Rothschild

  1. 1.1910

Julius Herz

Ferdinand Rothschild

  1. 5. 1911

Markus Herz

  1. 5. 1884

Lazarus Stern

  1. 1. 1914

Julius Lazarus

29.11. 1919

Heinrich Rothschild

Der Grundsatz des Offenbacher Bürgervereins, der die Gleichberechtigung aller seiner Mitglieder und das Wohl der Gemeinde anstrebte, wurde am 14. April 1904 abermals unter Beweis gestellt. Was war geschehen?

Der Offenbacher Lehrer Karl Adolph Dessauer, der gleichzeitig Dirigent des Männergesangvereins war, hatte sich von dem jüngeren Lehrer Volles aus Buborn durch einige abfällige Bemerkungen provozieren lassen. Volles handelte sich dabei eine saftige Ohrfeige von Dessauer ein.

Die Geschichte hatte Folgen. Am 14. April 1904 teilte der 1. Vorsitzende Carl Stuber der Generalver­sammlung mit, daß Lehrer Karl Dessauer laut Verfügung der Königlichen Regierung zu Trier den Verein nicht mehr dirigieren dürfe und eine Geldstrafe in Höhe von 50 Mark zahlen müsse. Große Empörung! Im Protokollbuch heißt es dazu u. a.:

.

ergriff Chr. Orth das Wort. In einer mit Begeisterung aufgenommenen Rede gedachte derselbe mit

warmen Worten der Gütigkeit des Herrn Dessauer als Lehrer und Dirigenten, die nicht allein von der evangelischen Bevölkerung hoch geehrt ist, sondern auch bei den Katholiken und lsraelitern in hohem

Ansehen steht

. . .

Alle drei Konfessionen des Bürgervereins stellten sich einmütig und einstimmig hinter eine Beschwerde, die um Rücknahme des Disziplinar-Strafbescheides nachsuchte. Aber die Sache verlief erfolglos. Karl Dessauer, der im September 1903 sozusagen strafversetzt worden war, blieb gewissermaßen „ver­bannt“. Er hatte schließlich Gewalt angewendet.

Dennoch hielten die christlichen wie auch die jüdischen Mitglieder des Bürgervereins ihrem ehemaligen Dirigenten gleichermaßen und auf ihre Weise die Treue. „Nun erst recht“ schien man sich gesagt zu haben. Einem weiteren Protokollbucheintrag vom 7. November 1904 ist zu entnehmen, daß man den Scheidenden demonstrativ und einstimmig zum Ehrenmitglied und Ehrendirigenten erhob.

Als weitere Beispiele positiver Zusammenarbeit und Gemeinsamkeit können auch die folgenden Fälle gewertet werden: Am 7. Dezember 1915 wurden Karl Dessauer (nicht der Lehrer Dessauer), Karl Feil, Adam Müller und der Jude Ferdinand Rothschild in eine Kommission des Bürgervereins gewählt, die den Auftrag erhielt, im Ort Spenden zu sammeln und von dem Erlös für die im Felde stehenden Mitglieder kleine Geschenke zu kaufen.

Übrigens, auch Juden standen 1914-1918 an der Front. Hugo Heymann zum Beispiel, der noch zu Beginn des Jahres 1914 zusammen mit seinen Glaubensbrüdern Arthur Roos und Theodor Lazarus und christlichen Mitgliedern im Elferrat des Offenbacher Karnevalvereins „So war noch nix“ aktiv war, hatte es im Ersten Weltkrieg bis zum Hauptmann gebracht und war Träger des Eisernen Kreuzes 1. Klasse.

Am 11. März 1917 vermerkte der Chronist, daß ein gewisser Rothschild aus Offenbach und andere für Tapferkeit vor dem Feinde mit dem Eisernen Kreuz 2. Klasse ausgezeichnet worden seien. Insgesamt standen auf deutscher Seite 100.000 Juden im Felde, 12.000 von ihnen starben den „Heldentod“.

  1. „… Herr … schaue und siehe an unsere Schmach!“23 1. Schlimme Zeiten kündigen sich an

Am 12. März 1925 schrieb Albert Werner in der Offenbacher Chronik unter der Uberschrift „Die Juden“ folgendes nieder:

In größeren Orten und Städten wohnten vereinzelt Judenfamilien. Hier in Offenbach ist heute noch die „Judengasse“. Sie wurde abends um 10 Uhr durch ein Tor verschlossen und endigte am Glan, wo heute die alte Holzbrücke über denselben führt; wohl deshalb, weil die Juden bezüglich der Frischhaltung ihres Fleisches sehr strenge gesetzliche Vorschriften hatten . . . Sie (die Juden) waren unfreie Leute und gehörten mit Leib und Leben dem Kaiser als sogenannte Kammerknechte oder Kammerjuden. Der Kaiser gestattete im Laufe der Zeit verschiedenen Grafen und Herren, eine bestimmte Anzahl von Juden in ihrem Gebiet wohnen zu lassen

. . .

Vielfach wurden ihnen durch die Landesherren mancherlei

Beschränkungen persönlicher Freiheiten auferlegt. Gewisse Straßen waren ihnen, wie schon oben erwähnt, als Wohnung angewiesen.

Auch mußten sie Kleider tragen, an denen man sie als Juden erkennen konnte. Jeder Grunderwerb war ihnen verboten. Nur den Friedhof durften sie ihr eigen nennen. Mancherlei Bedrückungen hatten sie durch die Bevölkerung zu erleiden. Als die Leibeigenschaft aufgehoben wurde, wurden auch die Juden gleichberechtigte Staatsbürger. Die Ju-

den lebten bis dahin in ärmlichen Ver-

hältnissen.

Dieser kurze Aufsatz ist zwar recht inter­essant, jedoch sehr allgemein gehalten, und läßt hinsichtlich der Offenbacher Juden Konkretes weitgehend vermissen, so daß eine gewisse Nachbesserung angebracht erscheint.

In Offenbach gab es 1925 und früher tatsächlich die von Werner erwähnte Ju-dengasse. Es handelte sich dabei um den unteren Teil der heutigen Brücken­straße, also um das Straßenstück, das an der Hauptstraße beginnt und vor der Glanbrücke endet. Natürlich steht die alte Holzbrücke, die Werner erwähnte, längst nicht mehr, sondern an ihrer Stelle überspannt heute eine Betonbrücke den Glan. Sie wurde 1967/68 gebaut. Einige der alten Häuser in der frühe-ren Judengasse fielen wahrscheinlich 1903/04 dem Bau der Eisenbahnlinie Lauterecken-Offenbach-Altenglan und 1937/38 dem Bau der heutigen Bundes­straße 420 (= Saarstraße) zum Opfer.

Insgesamt mögen einst im Ghetto „Of- fenbacher Judengasse“ kaum mehr als

Die Offenbacher Judengasse, heute Brückenstraße

zehn Familien gelebt haben, also bei weitem nicht alle Juden, die früher einmal in Offenbach ansässig waren. Eine ganze Reihe jüdischer Bürger wohnte hier auch in der Hauptstraße, die übrigens vorüber-

gehend Adolf-Hitler-Straße hieß.

Der Ausdruck „Getto“ (=

ruft er doch vielfach Erinnerungen an eine zwangsweise Einweisung der Juden in einen bestimmten Stadtbezirk oder in eine Straße wach. Dabei konnte zunächst von einer solchen Zwangsmaßnahme gar nicht die Rede sein. Vielmehr handelte es sich um ein heute noch zu beobachtendes Phänomen ethnischer und religiöser Gruppen oder Minderheiten, in der Fremde nahe beieinanderliegende Wohn­quartiere zu beziehen. Das sicherte die Existenz, bot Schutz, gewährleistete Hilfeleistungen sowie das Festhalten an kulturellen und religiösen Bedürfnissen. Allgemein setzte sich das den Juden zwangsweise

 Ghetto) ist wohl noch heute mit einigen unbehaglichen Vorstellungen behaftet,

zugewiesene Wohnviertel (erst) im 15. Jahrhundert durch. Abends wurde es (tatsächlich) verschlossen

. . .

Die Bezeichnung „Getto“stammt (übrigens) aus dem 16. Jahrhundert und wurde erstmalig in Venedig

benutzt.

Nach einer früher schon erwähnten schriftlichen Aussage des Maire von Offenbach am Glan bezüglich der Einwohnerzahl lebten 1802 in der hiesigen Gemeinde rund ein Viertel Juden und drei Viertel Christen. Für die Juden wurde etwa die Zahl 110 ermittelt. Und die ebenfalls bereits erwähnte Liste aus dem Jahre 1835 enthält genau 100 jüdische Namen.

Nach dem Westrichkalender von 1988, S. 75, wohnten in Offenbach

1808

55 jüdische Bürger

1875

99 jüdische Bürger

1843

106 jüdische Bürger

1900

32 jüdische Bürger

Einige andere Westrichkalender machen über Offenbachs Einwohnerschaft noch differenziertere

Ein oder zwei Jahre später wohnten in Offenbach nur noch 28 jüdische Bürger, die eigentlich nicht glauben, nicht wahrhaben wollen, was sich da von seiten der Nationalsozialisten gegen sie zusammen­braute. Schließlich hatte man über Jahrzehnte hinweg mit den Christen einträchtig Tür an Tür gewohnt und ein gut nachbarliches Verhältnis aufgebaut. Ähnlich sah das auch die Mehrheit der christlichen Bevölkerung. Es darf und kann aber nicht übersehen werden, daß eine beachtliche Anzahl von Braunhemden sich etwa ab 1930 und später um die Hakenkreuzfahne scharte und entschieden NS-Gedankengut mit vertrat. Viele zogen aus Uberzeugung mit, viele aber auch aus gutgläubiger Vertrau­ensseligkeit, einige aus einem gewissen Opportunismus heraus.

  1. immer weniger Juden in Offenbach

Bis in die späten zwanziger Jahre hinein stimmte das menschliche Verhältnis zwischen Christen und Juden in Offenbach noch. Dennoch hatte sich die Zahl der jüdischen Bürger bis 1900 um über zwei Drittel verringert. Die Gründe dafür waren vielschichtig:

1869 hatte der Norddeutsche Bund ein Gesetz angenommen, das alle noch bestehenden oder in den Jahrzehnten davor wiederbelebten Beschränkungen hinsichtlich der bürgerlichen Rechte der Juden aufhob. Die entsprechenden Bestimmungen wurden dann auch in die Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 aufgenommen. Das war wohl der endgültige Durchbruch der Emanzipation. Nun gab es beispielsweise keinerlei Wohn- und Berufsbeschränkungen mehr. Was lag also näher, als daß viele

Juden nach Veränderung und vor allem Verbesserung ihrer Verhältnisse trachteten und ihr Glück anderweitig, insbesondere in den großen Städten suchten.

Nach der Ermordung des Zaren Alexander II. im Jahre 1881 kam es in Rußland wieder einmal zu Pogromen, zu Judenverfolgungen also, zu Zerstörung, Vertreibung, Mord, was zur Folge hatte, daß hunderttausende Juden aus dem Osten in Richtung Westen strömten und hauptsächlich in die USA auswanderten. Bei der Lösung des Beförderungsproblems spielte übrigens der jüdische Generaldirektor der Hamburg-Amerika-Linie, Albert Ballin (1857-1918), eine ganz entscheidende und hilfreiche Rolle. Es ist durchaus möglich, daß diese Ost-West-Ausreisewelle auf viele deutsche Juden eine gewisse Sogwirkung ausübte. 1881 zum Beispiel wanderten die Offenbacher Juden Alexander Lazarus, Lina Rothschild und Edmund Roos nach Amerika aus.“

Dann gab es da noch den jüdischen Journalisten und Schriftsteller Theodor Herzl. Er wurde 1860 in Budapest geboren, wirkte hauptsächlich in Wien und starb im Jahre 1904. Herzl propagierte den Gedanken eines eigenen Staates der Juden und trat für ihre Rückkehr nach Israel (Palästina) ein.

Seine Vorstellungen und Uberlegungen und Darstellungen deckten sich weitgehend mit dem Traum aller Juden und lösten eine Einwanderungswelle nach Palästina aus.

Zehn Jahre nach Herzls Tod begann in Europa der Erste Weltkrieg. 1917 steckte die Entente (Frankreich, England, Rußland) in einer bedenklichen militärischen Krise. Wohl deshalb war ihr sehr daran gelegen, daß sich die amerikanischen Juden, die schon damals großen politischen Einfluß besaßen, für den Kriegseintritt der USA auf seiten der Entente stark machten. Also gab die britische Regierung am 2. November 1917 eine Sympathieerklärung zugunsten der „jüdisch-zionistischen“ Bestrebungen in Palästina ab. Adressat der Botschaft war der Präsident der englischen Zionisten, Lord Lionel Walter Rothschild, Absender des entsprechenden Schreibens der britische Außenminister Lord Balfour. Auszug aus der sogenannten Balfour-Erklärung:

Die Regierung seiner Majestät betrachtet mit Wohlwollen die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina und wird bemüht sein, die Durchführung dieses Vorhabens nach Kräften zu erleichtem.

Auch die Balfour-Deklaration zog jüdische Einwanderer nach Palästina. Aus aller Welt, auch aus Deutschland, wanderten die Juden ins „Heilige Land“ ein. Dort kauften sie Acker, Sümpfe, Berge, Wüsten auf, machten das Land urbar, säten und pflanzten und ernteten und bauten Dörfer und Städte mit Fleiß.

Sie säten aber auch, freilich ohne es zu wollen, die Saat zum Konflikt mit den auch damals schon im Lande wohnenden Palästinensern, wohl um die 700.000 an der Zahl.

  1. Vor der Machtergreifung Hitlers

Zurück in das kleine Offenbach am Glan. Hier wurde nichts Weltgeschichtliches bewegt. Hier mühte man sich um den persönlichen Lebensunterhalt, man betete und arbeitete. Und dann und wann durfte man sich auch an kleinen Festen und Feiern erfreuen, z. B.

am 2. September 1880

am Reben- und Brunnenfest,

am Sängerfest mit Fahnenweihe,

an der Fahnenweihe des Kriegervereins,

am Erinnerungsfest für 1870/71,

am Jubiläumssängerfest,

am 24. Juli

1884

am 21. Juli

1889

am 8. Juli

1895

am 4. Juli

1897

am 28. Juli

1910

am Wald- und Turnfest,

am 17. Juni

1913

am 25jährigen Dienstjubiläum des Kaisers, an Kaisers Geburtstag.

am 5. Februar          1914

Tatsächlich hatte Offenbach noch weit öfter Anlaß zum Feiern. Warum auch nicht? Die Berichte darüber lesen sich etwa so:

Den Festzug eröffneten Reiter in Kostümen.

Der Zug bewegte sich unter den Klängen der Musik durch die Hauptstraße des Ortes. Der Vorsteher brachte ein Hoch auf den Kaiser aus.

Das Fest schloß mit einem brillanten Feuerwerk.

Der Geburtstag Sr. Majestät, unseres allergnädigsten Königs und Kaisers wurde gefeiert.

Also bis 1918 etwa lief eben alles mehr oder weniger auf die Formel hinaus: Mit Gott für Kaiser und

Vaterland!

Die Zeit war nun einmal so. Das Volk — und dazu gehörten auch die inzwischen gleichberechtigten jüdischen Bürger — tat in etwa das, was die Obrigkeit von ihm erwartete, getreu nach dem geflügelten Wort: Wes‘ Brot ich ess‘, des‘ Lied ich singe!

Am 14. September 1930 ging man zur Reichstagswahl. Die Wahlbeteiligung betrug in Offenbach 81 Prozent. Es erhielten

die SPD

111 Stimmen

die Deutschnationale Volkspartei

5 Stimmen

die Zentrumspartei

58 Stimmen

die Kommunistische Partei

8 Stimmen

die Deutsche Volkspartei

42 Stimmen

die Christlich-Soziale Volksgemeinschaft

7 Stimmen

die Deutsche Staatspartei

45 Stimmen

die Reichspartei des deutschen Mittelstandes

15 Stimmen

die NSDAP

120 Stimmen (26%)

die Christlich-Nationale Bauern- und Landvolkpartei die Volksrechtpartei

29 Stimmen

6 Stimmen

Es kündigte sich hier also bereits 1930 ein Machtkampf zwischen SPD und NSDAP an, den die SPD verlor. Das zeigte recht eindeutig auch die Landtagswahl vom 24. April 1932. Damals erhielten in Offenbach

die SPD

120 Stimmen

das Zentrum

60 Stimmen

die Kommunisten

26 Stimmen

die Deutsche Volkspartei

26 Stimmen

die NSDAP

252 Stimmen (52%)

Bei der Wiederholung der Reichspräsidentenwahl am 10. April 1932 (zweiter Wahlgang) erreichten die Kandidaten in Offenbach folgendes Ergebnis:

Paul von Hindenburg

243 Stimmen

Adolf Hitler

244 Stimmen (48%)

Ernst Thälmann

19 Stimmen

Diese wenigen Beispiele zeigen schon, daß man in Offenbach der NSDAP schon 1932 in einer bemerkenswerten Größenordnung zugetan war. Andere Gemeinden standen dem übrigens in nichts nach.

Es ist schwer zu erklären, welches die Ursachen dafür waren, daß sich die Deutschen so zahlreich den Nationalsozialisten zuwandten. Wahrscheinlich könnte man da eine ganze Reihe von Gründen aufzäh­len, z. B. den verlorenen Krieg, das Friedensdiktat von Versailles, die hohen Reparationen, die Besetzung des Ruhrgebietes durch die Franzosen, die zahlreichen Aufstände im Reich, die Inflation, die Weltwirt-

schaftskrise, die große Arbeitslosigkeit, die Hilflosigkeit der Regierung der Weimarer Republik, die bemerkenswerte Rhetorik Hitlers.

Man wünschte offenbar die sprichwörtlich starke Hand herbei. Vielleicht sah man in Hitler den Mann, dem man es am ehesten zutrauen konnte, aus dem Chaos endlich Ordnung herbeizuführen und Arbeit und

Brot für das Volk zu schaffen. Krieg und Nachkriegszeit hatten für Hitler und seine Partei geradezu einen idealen Nährboden vorbereitet. Nur wenige mochten da abseits stehen. Viele glaubten hoffnungsvoll und schlossen sich an.

Zwar gab es in fast jeder Familie die sogenannte zweite Bibel „Mein Kampf“, so daß sich die Menschen hätten informieren können, wohin Hitlers Weg führte. Aber Tatsache ist, daß kaum jemand aus dem Volke das Buch je gelesen hat. Und wer sich dennoch heranwagte, kam kaum über die Seite sieben oder neun hinaus. Man kapitulierte einfach.

Nur wenige, die etwa von Berufs wegen wissen mußten oder sollten, was Hitler in „Mein Kampf“ von sich gegeben hatte, lasen weiter und taten doch zu wenig oder nichts, bis es zu spät war und der dröhnende Marschtritt und der kernige Männergesang der NS-Organisationen immer drohender bis in die hintersten Stuben der erschreckten Juden drangen und schließlich die Uniformierten selbst an die Haustüren schlugen.

  1. Jagd auf die Juden

Merkwürdigerweise wird die Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933 in der Offenbacher Chronik mit keinem Wort erwähnt. Erst am 14. März 1933 gibt es einen indirekten Hinweis:

Am 13. 3. (1933) flatterte zum ersten Male wieder auf dem Schulhause die schwarz-weiß-rote Fahne: daneben die Hitlerfahne mit dem Hakenkreuz.

Man kann sich denken, was inzwischen geschehen ist. Und ein Eintrag vom 22. März (1933) bestätigt das denn auch:

Am 8. 3. (1933), einem nationalen Feiertag und dem 21. 3. (1933) zur feierlichen Eröffnung des neu gewählten Reichstages (Reichskanzler Adolf Hitler) in der Garnisonkirche in Potsdam fiel der Unterricht aus. Um 11 Uhr fand eine Schulfeier statt, in der auf die Bedeutung des Tages hingewiesen wurde. Von 11.45 Uhr bis 1 Uhr hatten die Kinder im Hahnschen Saale Gelegenheit, am Radio die Reden Hindenburgs und Hitlers zu hören.

Ein Vermerk vom 6. September 1933 lautet:

Laut Verfügung der Regierung wurde bei Beginn der Schule nach den Herbstferien der neue Hitlergruß in allen Schulen eingeführt.

Ein Jahr später (September 1934) heißt es:

Sämtliche evgl. Kinder der Oberklasse sind in der HJ (= Hitlerjugend).

„Evgl. Kinder“ heißt es deshalb, weil ja noch die letzten jüdischen Kinder die evgl. Volksschule Offenbach besuchten. Man hatte ihnen den Schulbesuch noch nicht verboten, aber eine reine Freude war die Schule für sie dennoch nicht mehr. Eine Flut von Gesetzen und Verordnungen wirkte sich in der Folge verheerend auf die jüdische Bevölkerung aus:

Am 1. April 1933 Am 7. April 1933

Am 21   April 1933

Am 22   September 1933

Am 5. Dezember 1934

begann der Boykott aller jüdischen Geschäfte und Unternehmungen.

wurden auf Grund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeam­tentums die Juden nach und nach aus dem öffentlichen Dienst entfernt.

wurde das Schächten in ganz Deutschland verboten.

verbannte man die Juden aus dem deutschen Kulturleben (Reichskultur­kammergesetz).

wurde in Offenbach/Glan der Bürgerverein aufgelöst. Die Chronik berichtet darüber: Am 5. Dezember wurde der hiesige Bürgerverein „gleichgeschal­tet“, d. h. alle Juden aus demselben entfernt und (der Verein) aufgelöst. Als führender Verein gilt von nun an der Gesangverein. Alle Mitglieder des

Im Sommer 1935

ehemaligen Bürgervereins (außer Juden) können passive Mitglieder des Gesangvereins werden. Vorsitzender ist 0. M.

verstärkte man die Aktion „Juden unerwünscht“. An Ortseingängen, Cafés, Gaststätten, Geschäften, Kinos u. a. wurden entsprechende Schilder aufgestellt.

wurden die sogenannten Nürnberger Gesetze erlassen (= Reichsbürgerge­setz, Blutschutzgesetz und mehrere Durchführungsverordnungen).

mußten alle männlichen Juden zusätzlich den Namen „Israel“, alle jüdi­schen Frauen den Namen „Sarah“ führen, z. B. Israel David Levy oder Sarah Tilly Roos.

erloschen die Approbationen jüdischer Ärzte.

wurden 23.000 Juden aus Deutschland zwangsweise nach Polen abge­schoben.

fand die sogenannte „Reichs-Kristallnacht“ statt. Es wurden Synagogen und jüdische Geschäfte zerstört, mindestens 30.000 jüdische Männer ins KZ gebracht und ca. 90 getötet.

durften jüdische Kinder keine nichtjüdischen Schulen mehr besuchen. mußten jüdische Anwälte ihre Praxen schließen.

wurden alle Rundfunkgeräte der Juden eingezogen.

erhielten die Juden keine Kleiderkarten mehr.

beauftragte Hermann Göring Heydrich mit der Vorbereitung zur Endlösung der Judenfrage.

mußten alle über sechs Jahre alten Juden den „Judenstern“ tragen. Es handelte sich um einen sechszackigen gelben Stoffstern mit der Aufschrift „Jude“, der auf den Kleidungsstücken anzubringen war.

begannen die Massendeportationen von Juden aus dem Reichsgebiet in die Vernichtungslager in Polen.

bedurften die Juden zum Verlassen ihrer Wohnung und zur Benutzung von Verkehrsmitteln einer amtlichen Erlaubnis.

fand die sogenannte und berüchtigte Wannseekonferenz zur Endlösung der Judenfrage statt.

mußten auch die Wohnungen der Juden durch einen Judenstern gekenn­zeichnet werden.

durften die Juden keine Haustiere mehr halten.

war es den Juden verboten, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.

Am 15. September 1935 Ab 17. August 1938

Ab 30. September 1938 Im Oktober 1938

Am 9. und 10. November 1938

Ab 15. November 1938

Am 30. November 1938

Ab 23. September 1939 Ab 6. Februar 1940

Am 31. Juli 1941

Ab 15. September 1941

Im Herbst 1941

Ab 3. Oktober 1941 Am 20. Januar 1942

  • April 1942
  • April 1942

Ab 24. April 1942

Diese Liste könnte noch um einiges ergänzt werden. Allein bis zum Kriegsbeginn (1. September 1939) wurden mehr als 250 antijüdische Maßnahmen verkündet.

Die entsprechenden Verfügungen, Erlasse, Gesetze oder Durchführungsverordnungen, die von „oben“ kamen und auf der „unteren“ Ebene die Amts- und Gemeindeverwaltungen erreichten, zeichneten sich ausnahmslos durch einen diktatorischen Befehlston aus, der keinerlei Widerspruch duldete und eine strickte Befolgung oder Durchführung verlangte. Die hier folgenden Beispiele beziehungsweise Zitate (1938-1942) sollen den „Ton der Zeit“ hervorheben sowie die vorstehende Chronik ergänzen.

Geheime Staatspolizei Koblenz, 9. Dezember 1937:

Zur Erfassung der Juden in Deutschland soll eine Judenkartei angelegt werden.

Der Reichsführer SS, 28. Mai 1938:

Alle sowjetrussischen Juden, die bisher trotz zweimaliger Verlängerung der sechswöchigen Abzugsfrist das Reichsgebiet nicht verlassen haben, sind in Ausweisungshaft zu nehmen, die in einem Konzentra­tionslager zu vollziehen ist.

Regierungspräsident Koblenz, 23. Juli 1938:

Juden . . haben bis zum 31. Dezember 1938 bei der zuständigen Polizeibehörde die Ausstellung einer Kennkarte zu beantragen.

Regierungspräsident Koblenz, 28. Juli 1938:

Die Ortspolizeibehörden ersuche ich, sofort sämtliche Vermögensanmeldungen von Juden . . . in der vorgeschriebenen Weise auf ausländische Wertpapiere durchzusehen.

Regierungspräsident Koblenz, 12. November 1938:

Soweit die Juden diese Vornamen bisher nicht geführt haben, müssen sie nach § 2 der 2. Durchführungs­verordnung vom 1. 1. 1939 ab zusätzlich den Vornamen „Israel“ bezw. „Sarah“ annehmen.

Der Beauftragte für den Vierjahresplan, Generalfeldmarschall Göring, 24. November 1938, RGBI. I S. 1668:

Auf Grund des § 7 der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26. April 1938 ordne ich an:

Die Maßnahmen, die notwendig sind, um den Einsatz des anmeldepflichtigen Vermögens in Einklang mit den Belangen der deutschen Wirtschaft sicherzustellen, werden vom Reichswirtschaftsminister . . getroffen.

Regierungspräsident Koblenz, 26. November 1938:

Neben der Entjudung von Wirtschaftsbetrieben muß nunmehr auch der jüdische Grundbesitz, sei er bebaut oder unbebaut, in deutsche Hände mit Energie überführt werden.

Der Reichsminister des Innern, 28. November 1938:

Die Regierungspräsidenten können Juden . . räumliche und zeitliche Beschränkungen des Inhalts auferlegen, daß sie bestimmte Bezirke nicht betreten oder sich zu bestimmten Zeiten in der Öffentlichkeit nicht zeigen dürfen.

RGBI. I S. 1709, 3. Dezember 1938:

Juden können Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte und Rechte an Grundstücken nicht durch Rechtsgeschäfte erwerben.

Juden ist es verboten, Gegenstände aus Gold, Platin oder Silber sowie Edelsteine und Perlen zu erwerben.

Reichsführer SS, 31. Dezember 1938:

In nächster Zeit sind Transporte von jüdischen Kindern und Jugendlichen bis zu 18 Jahren zur Durchführung ihrer Auswanderung nach England, Holland, Belgien und den nordischen Staaten beabsichtigt.

Regierungspräsident Koblenz, 28. Januar 1939:

Nach der Verordnung vom 23. Dezember 1938 — RGBI. I S. 1642 — sollen die jüdischen Einzelhandels­geschäfte grundsätzlich ersatzlos eingehen.

RGBI. I S. 864, 30. April 1939:

Juden dürfen leerstehende oder frei werdende Räume nur mit der Genehmigung der Gemeindebehörde neu vermieten.

Regierungspräsident Koblenz, 24. Mai 1939:

Betrifft: Entjudung von Grundstücken. Die Veräußerung, Belastung usw von Juden gehörenden Grundstücken bedarf meiner Genehmigung . . .

Ministerium des Innern, 16. Juni 1939:

In allen übrigen Ländern und Kurorten sind Juden von den Kureinrichtungen ausgeschlossen.

Geheime Staatspolizei Koblenz, 21. September 1939:

Die im Eigentum von Juden stehenden Rundfunkapparate sind zu beschlagnahmen.

RGBI. I S. 2059, 19. Oktober 1939:

Die Judenvermögensabgabe wird zur Erreichung des Betrages von einer Milliarde Reichsmark von 20 v. H. auf 25 v H. des Vermögens erhöht. Der Unterschiedsbetrag von 5 v. H. des Vermögens ist am 15. November 1939 fällig.

Oberpräsident der Rheinprovinz, 15. Februar 1940:

Ich ersuche jedoch . . . einen Umzug von Juden vom Lande in die Stadt durch geeignete polizeiliche Maßnahmen zu verhindern.

Geheime Staatspolizei Koblenz, 11. Mai 1940:

In Ergänzung meiner vorbezeichneten Verfügung wird hiermit das Ausgehverbot für die Juden während der Zeit vom 1. 4. bis 30. 9. auf die Stunden von 21 Uhr bis 5 Uhr und während der Zeit vom 1. 10. bis 31. 3. auf die Stunden von 20 Uhr bis 6 Uhr festgesetzt.

Regierungspräsident Koblenz, 30. August 1940:

Der Herr Reichswirtschaftsminister hat mit Runderlaß vom 23. Juli 1940 die höheren Verwaltungsbehör­den angewiesen, dafür zu sorgen, daß die Entjudung der Wirtschaft bis zum Ende dieses Jahres abgeschlossen wird.

Reichsministerium des Innern, 12. Juni 1941:

. . . bestimme ich im Einvernehmen mit der Parteikanzlei und dem Reichsministerium für kirchliche Angelegenheiten, daß Juden, die . . . aus der jüdischen Religionsgemeinschaft ausgetreten sind, sich als „glaubenslos“ zu bezeichnen haben. Die Bezeichnung „gottgläubig“ dürfen Juden nicht führen.

Reichsführer SS, 7. Juli 1941:

Nach dem vorbezeichneten Erlaß sind auf Grund der Verordnung über Reisepässe von Juden vom 5. 10. 1938 (RGBL. I S. 342) die Reisepässe der Juden mit Geltung für das Ausland auf Seite 1 links oben durch einen Stempel mit einem roten, 3 cm hohen „J“ zu versehen.

RGBI. 1941 Nr. 100, S. 547, 1. September 1941:

Juden . ., die das sechste Lebensjahr vollendet haben, ist es verboten, sich in der Öffentlichkeit ohne Judenstern zu zeigen. Der Judenstern besteht aus einem handtellergroßen, schwarz ausgezogenen Sechsstern aus gelbem Stoff mit der schwarzen Aufschrift „Jude“.

Er ist sichtbar auf der linken Brustseite des Kleidungsstückes fest aufgenäht zu tragen. Juden ist es verboten, den Bereich ihrer Wohngemeinde zu verlassen.

Der Reichsminister des Innern

Chef der Sicherheitspolizei und des SD, 13. März 1942:

Da die Juden jede Möglichkeit benutzen, um sich auch weiterhin zu tarnen, erweist es sich als notwendig, die Kennzeichnung der Wohnungen von Juden durchzuführen.

Die Kennzeichnung der Wohnungen und dergl. hat durch einen Judenstern zu erfolgen . (der) jedoch in weißer Farbe gehalten ist. Das Kennzeichen ist unmittelbar neben dem Namensschild . . . am Wohnungseingang . für jeden Eintretenden sichtbar anzubringen.

gez. Heydrich

Reichsminister des Innern, 24. März 1942:

Juden . . müssen in allen Fällen bei Fahrten innerhalb der Wohngemeinde eine polizeiliche Erlaubnis­bescheinigung für die Benutzung des Verkehrsmittels . . . bei sich führen.

Reichsverkehrsminister, 6. Juni 1942:

Juden ist die Benutzung von Warteräumen, Wirtschaften und sonstigen Einrichtungen der Verkehrsbe­triebe verboten.30

Um den Eindruck über das Thema „Jagd auf die Juden“ abzurunden und ihm im ganzen noch eine stärkere Glaubwürdigkeit zu verleihen, nachstehend eine Kopie von einem Original aus derAnordnungs­und Gesetzesflut des sogenannten „Dritten Reiches“. Ziel dieses ungeheuren Arbeitsaufwandes, der da

Sammlung von wichtigen Gesetzes-Abdrucken und Verordnungen von Reich und Staat

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  • Sei. Jubellitern beitebt nun einem banbtellem groben, jelpvara ausgeangenen 8.ecbsjtern nun gelbC111 eltlff 111)1 ber fettmauen ‚tini(cl)rift „:111be“. er ift jidnb bar ruf ber linken erliftleite ber gleibungefttitlis fejt zielgenäht an tragen.
  • 2
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5) Urban, eltbrenviehen unb jonftige 21b3eicben an tragen.

  • 3

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  • tteet bem eetbot ber §§ 1 unb 2 norjeitalid) ober folgteigig anntibetbanbcit, wie mit ebeibltrafe bis au 150 91eidgmark ober mit 5)0(1 bis 3u Wäg eoetten beftrajt.
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von den nationalsozialistischen Machthabern inszeniert wurde, war eindeutig zunächst die Zerstörung der Existenz der Juden, dann die Verfolgung und Vertreibung mit allen Mitteln und endlich die Vernichtung.

Hitler war ganz sicher nicht der Erfinder des Antisemitismus, aber er war der unbelehrbare, eigenwillige und haßerfüllte Verfechter einer Pseudowissenschaft, die die Welt in die zum Herrschen bestimmte arische Rasse und in die zu vernichtende jüdische Rasse teilte. Er schrieb in „Mein Kampf“ u. a.:

Den gewaltigsten Gegensatz zum Arier bildet der Jude?‘

Und am 30. Januar 1939 sagte er in seiner Reichstagsrede u. a.:

Wenn es dem internationalen Finanzjudentum innerhalb und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.

Diese Hexenjagd auf die Juden blieb natürlich nicht ohne Wirkung. Das anfangs ungläubige Erstaunen der Juden wandelte sich sehr bald in Angst und Schrecken. Und wer die Gefahr rechtzeitig erkannte und dazu noch die nötigen Mittel besaß, verließ sein „deutsches Vaterland“.

Auf die große Masse der deutschen und europäischen Juden aber kam drohend ein ebenso unbeschreib- wie unbegreifbares Schicksal zu, der Holocaust.

  1. Im Dritten Reich

Die übrige deutsche Bevölkerung war nicht minder erstaunt und erschreckt über das, was man den jüdischen Nachbarn antat. Und doch schauten die Menschen zumeist mehr oder weniger hilflos zu. Insgeheim verurteilte man zwar die Schikanen, denen die Juden ausgesetzt waren, aber offen Stellung zu beziehen, wagte kaum jemand. Die Angst ging um.

Ein Teil der Bevölkerung freilich befand alles das, was der Führer sagte und tat, für in Ordnung. Viele Leute hauten gar noch kräftig in die Kerben, die Staat und NSDAP bereits geschlagen hatten. Man wirkte gläubig und aktiv mit an der Gestaltung der deutschen Zukunft. Und die Überzeugten unter den Aktiven ließen sich sogar entsprechend schulen. Die Chronik hat wieder das Wort:

Zur Teilnahme am Reichsparteitag in Nürnberg war ich vom 6. bis 11. September (1934) beurlaubt.

In der Zeit vom 21. Oktober bis 17. November (1934) war W. zum Besuch der Gauführerschule der NSDAP in Koblenz-Oberwerth beurlaubt.

Der Geist von Führerschule und Reichsparteitag wurde natürlich zuerst einmal an die Kinder weiterge­reicht. Wie lautet doch eine alte Weisheit? „Wer die Jugend hat, dem gehört die Zukunft.“

Ziehen wir noch einmal die Chronik zu Rate. Wie könnte die dort beschriebene Feierstunde wohl auf die Schüler gewirkt haben?

Am 30. Januar (1936), dem Jahrestag der Machtübernahme, hielten beide Klassen gemeinsam eine Schulfeier ab.

Vortragsfolge:

  1. Lied: Vorwärts
  2. Gedicht: Stimme der Arbeitslosen
  3. Gedicht: Kein Deutscher soll hungern und frieren
  4. Übertragung: Rede von Dr. Goebbels aus Berlin
  5. Gedicht: Dem Führer
  6. Gedicht: Auch du
  7. Lied: Nun laß die Fahnen fliegen
  8. Sprechchor: Wir alle tragen im Herzen dein Bild
  9. Gedicht: Hitler
  10. Lied: Heilig Vaterland
  11. Gebet: für den Führer
  12. Schluß: Horst-Wessel-Lied

Als Gast nahm an der Feier der Ortsgruppenleiter teil.

Auch ohne eine langatmige Analyse des vorstehenden Programms dürfte heute jedem Leser deutlich werden, daß die Jugend damals einem ganz bestimmten Ziel zugeführt wurde. Da fand eine knallharte Erziehung für Führer, Volk und Vaterland statt. Man muß nicht einmal die Inhalte der einzelnen Programmpunkte kennen, um das zu sehen. Ein Ausschnitt aus dem ersten Programmpunkt spricht für sich:

Uns’re Fahne flattert uns voran, in die Zukunft zieh’n wir Mann für Mann. Wir marschieren für Hitler durch Nacht und durch Not mit der Fahne der Jugend für Freiheit und Brot.

Uns’re Fahne flattert uns voran!

Und hier noch einen Ausschnitt aus dem Programmpunkt 10.:

Heilig Vaterland, in Gefahren

deine Söhne sich um dich scharen!

Wenn der Fremde dir deine Krone raubt,

fallen wir Haupt bei Haupt!

Selbstverständlich hatte man ähnliche Erziehungsmethoden auch für Erwachsene parat. Am 25. September 1936 z. B. kam der Gauleiter Pg. G. Simon nach Offenbach. Die SA führte damals im Saale Hahn eine Werbeveranstaltung durch. Die Rede des Gauleiters wurde sogar in den Saal Altpeter übertragen. In einem Bericht über die Veranstaltung heißt es u. a.:

Er führte aus, daß gerade die alten Kämpfer in ihrem unbändigen Glauben und ihrer unwandelbaren Treue zum Führer einen Damm gebildet haben gegen die bolschewistische Flut und ihnen der Dank dafür gebührt, daß heute Deutschland als friedliche Insel in einem Europa liegt, das von dem jüdischen Bolschewismus mit Mord, Brand und Vernichtung bedroht ist. Anschließend daran sprach er von der Notwendigkeit der bestehenden Kampforganisationen auch im 3. Reich. Sie sind Träger und Hüter der nationalsozialistischen Idee. Wo es eine SA, SS, ein NSKK gibt, kann es keine Bolschewisten geben. Er ermahnte zur Treue zum Führer und zur tatkräftigen Unterstützung seines Aufbauwerkes.

Stolz, ja fast glücklich, wurde dann noch folgender Nachsatz in die Chronik eingetragen:

Nach der Versammlung traf sich der Gauleiter noch mit seinen alten Pgg. im alten Parteilokale Keller. Fast alle Offenbacher kannte er noch mit Namen, auch mich, einen der 27 Lehrer des Gaues, die vor der Machtübernahme Mitglieder der Partei waren.

Ein gewisser B. behauptete 1938 schriftlich:

In meiner frühen Jugendzeit lernte ich die Arbeit der Juden kennen, die meinen Vater kurzweg den Judenhasser nannten.

Diese recht dumme und allgemein gehaltene Bemerkung wirkt höchst opportunistisch und müßte dem Schreiber eigentlich wehtun. Man erkennt noch heute, wo der geistige Standort dieses Mannes einst lag. Folgerichtig nahm dann auch er an einem Reichsparteitag in Nürnberg teil, und zwar vom 4. September bis 13. September 1938. Und vom 11. Dezember bis 15. Dezember 1938 besuchte er einen Führerkurz­lehrgang der SA-Gruppenschule Westmark.

Für die Menschen, die im Gegensatz dazu im Nationalsozialismus und in Hitler und seinen Getreuen nichts Gutes sehen konnten, war ein offenes Wort ähnlich gefährlich wie für Juden. Vorsicht war geboten. Man durfte seine Meinung allenfalls dem besten Freunde kundtun. Ansonsten mußte man sich unauffällig

und vornehm zurückhalten und evtl. mit den Wölfen heulen. Der Chronist beklagte sich über derartige Erscheinungen:

  1. 10. 1936: „Am Vorabend des Erntedankfestes wurde auf dem Marktplatz ein Erntekranz aufgerich­tet. Erschienen waren die Gliederungen der Partei, HJ usw. Außer dem Ortsbauernfüh­rer war kein Bauer erschienen. Eine sehr bedauerliche Tatsache.“
  2. 11. 1936: „Am Abend des 9. November fand im Saale Altpeter eine schlichte Gedenkfeier für die Toten der Bewegung statt. Die Bevölkerung von Offenbach war leider nicht sehr

zahlreich vertreten . . . Die Darbietungen der Musik waren jämmerlich.“

  1. 12. 1936: „Am Abend des 20. Dezember veranstalteten HJ und SA gemeinsam auf dem Kessel­berg eine Sonnenwendfeier. Die Beteiligung der Bevölkerung war nicht sehr groß.“
  2. 10. 1937: „Am 15. Oktober hat der Vikar an der hiesigen Abteikirche, Herr Lohmann, den Konfirmanden den Gruß ‚Heil Hitler‘ im Schulsaal der Oberklasse zu Beginn des Konfirmandenunterrichtes verboten. Von dem Herrn Kreisschulrat in Baumholder wurde ihm daraufhin verboten, weiterhin Konfirmandenunterricht im Schulsaale abzuhalten.“
  3. 11. 1937: „Am Dienstag, den 21. 11., wurde Dr. H. von hier und am Donnerstag, den 25. 11., I. von der geheimen Staatspolizei verhaftet . . . Dr. H. wurde nach Grumbach, I. nach Idar-Oberstein 1 verbracht. Beide sollen sich gegen die nat-soz. Regierung oder Maßnah­men derselben ausgesprochen haben.“
  4. 2. 1938: „Im Alter von 87 Jahren verstarb Ludwig Theobald .. . Beinahe 50 Jahre verwaltete er

das Amt des Feldhüters. Wegen seines geraden Charakters war er bei der Bevölkerung sehr beliebt. An diesem Tage, es war am Sonntag, dem 20. Februar, hielt der Führer vor dem deutschen Reichstage seine hochbedeutsame politische Rede, die im Rundfunk übertragen wurde. Bevor die Rede beendet war, bereits um 15 Uhr, nahm die Beerdigung ihren Anfang, an der sehr viele Einwohner von hier teilnahmen (Kriegerkameradschaft u. Gesangverein geschlossen). Dadurch war es einem großen Teil der Bevölkerung nicht möglich, die Führerrede bis zum Schluß anzuhören. Wer trägt die Schuld?“

  1. 2. 1938: „Im Saale Hahn hielt die SA am Abend des 23.2. eine eindrucksvolle Horst-Wessel-Feier ab. Die Veranstaltung war schlecht besucht.“

März 1938:     „Ein Meckerer wird eingesperrt. Vor dem Sondergericht in Trier hatte sich ein hiesiger

Einwohner zu verantworten, weil er Äußerungen gegen den deutschen Staat gemacht hatte. Er wurde zu einer Gefängnisstrafe von 6 Monaten und zur Tragung sämtlicher Kosten verurteilt.“

(Dr. H., siehe 25. 11. 1937) „Der andere, Izquierdo, ist im Konzentrationslager.“

  1. 3. 1938: „Am Nachmittag des 27.3. fand im Saale H. eine öffentliche Wahlversammlung statt, auf

der Kreisschulrat Pg. K. sprach. Leider war die Versammlung nicht besonders gut besucht.“

Und dann brach das Unheil über Deutschland und Europa herein. Am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg. Polen war Hitlers erstes Opfer. Der Lokalchronist hielt fest:

. . . Polen wird durch das deutsche Schwert bestraft. In 18 Tagen ist es erledigt . . . Da Polen völlig aufgerieben ist, wird der Kampf gegen England aufgenommen . . . England wird und muß als Störenfried verschwinden und damit der Jude in Europa.

Das ist ganz die überhebliche Sprache der NSDAP. Daran ändert sich auch in den kommenden Kriegsjahren nichts, was der im Herbst des Jahres 1943 erschienene Bericht einer Lokalzeitung beweist:

Wir hassen Judentum und Bolschewismus — Eindrucksvolle Kundgebung in Offenbach — In einer öffentlichen Kundgebung der Partei sprach Gauredner Berge! aus Magdeburg zu der Bevölkerung von

194

Offenbach über die verbrecherischen Machenschaften des Feindes, die nicht eher ruhten, bis der heutige  Weltbrand entfacht war.

Unter den Feinden des Reiches sind es besonders die Juden, die jeden Aufstieg Deutschlands verhindern wollten und die gewaltigen sozialen Leistungen zum Segen des ganzen Volkes mit blindem Haß zu schmälern versuchten, weil sie fürchteten, daß auch andere Völker dem Beispiel Deutschlands nachahmen würden, worin die jüdischen Schmarotzer eine Gefahr für ihren Geldbeutel und ihr Faulenzerleben erblickten. Jüdischer Haß war es, der in Deutschland das Volk betrog und aussaugte. Jüdischer Haß ist es, der unsere Städte zerstört, jüdischer Haß will unsere Frauen und Kinder töten, und es ist das Ziel ihres Krieges, Deutschland von der Weltkarte verschwinden zu lassen . . .

So wie wir in Deutschland das Volk vom Juden und seinem verderblichen Einfluß befreit haben, so wird auch die Zeit kommen, in der sich die anderen Völker von Juden befreien werden. Nur unser Führer allein kann Europa von der Katastrophe befreien, die ihm von Seiten des Judentums und des Bolschewismus droht.

Ende 1943 oder Anfang 1944 standen deutsche Truppen in fast allen Ländern Europas. Man hatte sie mit Krieg überzogen und die Juden durch fast ganz Europa gehetzt.

Und dem deutschen Volk versuchte die NSDAP durch ihre (zweitklassigen) Gauredner weiszumachen, daß die Juden schuld seien am Kriege. Jüdischer Haß sei es, der die Städte zerstöre, jüdischer Haß, der Frauen und Kinder töte, jüdischer Haß wolle Deutschland von der Weltkarte verschwinden lassen. Wieder einmal hatten die Juden an allem schuld. Niemanden fiel auf, daß sie zu diesem Zeitpunkt, also ca. zwei Jahre nach der berüchtigten Wannseekonferenz, bereits alle Demütigungen und Qualen dieser Welt erlitten hatten, daß man sie mit Maschinengewehren niedergemäht oder in den Höllen der KZs vergast und verbrannt hatte, daß das Heer der Toten bereits in die Millionen ging. Sie, die Juden waren ja gar nicht mehr da, aber Schuld hatten sie dennoch.

Zu wenigen Deutschen war damals klar, daß der wahre Schuldige an dem fürchterlichen Kriege und dem ganzen schrecklichen Elend der Judenverfolgungen, von einem starken Betonbunker geschützt, in seinem Hauptquartier „Wolfsschanze“ saß.

  1. Die letzten Offenbacher Juden

Zeitzeugen ist es zu danken, daß hier noch einige wenige Details über die letzten Offenbacher Juden festgehalten werden können. Was nun an Geschriebenem folgt, soll nicht etwa der Befriedigung unserer Neugier dienen, sondern ist eher gedacht als Pflege des Andenkens der Menschen, die auch einmal Bürger der Gemeinde Offenbach waren, die hier lebten und arbeiteten und die vor allem litten unter dem Unrecht, das ihnen widerfuhr.

Wo Unrecht geschieht, ist die Schuld immer unmittelbar mit von der Partie. Das heißt, wenn auch nur ein einziger Mensch an Unrecht leidet, gibt es wenigstens einen zweiten, der das Leiden verursacht hat. Und wo vielen Unrecht angetan wird, da sind auch der Täter viele. Ob aber einem ganzen Volk Schuld aufgebürdet werden kann, also auch vielen Unbeteiligten und Nachgeborenen, ist sicher fragwürdig. Willy Brandt hat einmal sinngemäß gesagt: Schuld ist nicht vererbbar, aber der Geschichte ist nicht zu entkommen.

An anderer Stelle sagt er: Es gibt kein Ausweichen vor der Geschichte.“

Das dürfte bedeuten, daß wir wohl noch recht lange zu tragen haben werden an dem Unrecht, welches namens des deutschen Volkes den Juden und anderen angetan wurde sowie an der Schuld, die viele einst auf sich luden.

Diese Erkenntnis nützt zwar den Menschen, die das Unrecht traf, rein gar nichts mehr, hilft keinem. Dazu ist es viel zu spät. Aber es ist nicht zu spät, in der Zukunft mutig Widerstand zu leisten gegen jedes Unrecht, wo immer es sich zeigt, aufzubegehren und einzutreten für die Gerechtigkeit und die Menschlichkeit.