§175 – Homosexualität

Homosexualität: Verdacht – Verhaftung- gesundheitlicher Zusammenbruch – Selbstmord

Er lebte in Offenbach. Mit 51 Jahren war er nicht mehr jung zu nennen. Das Kirchenbuch listet eine Frau und einen Sohn auf, mit denen er im Haus des Schreinermeisters Molter (wohl gegenüber der Volksbank) zur Miete wohnte.

Es ist unklar, warum er unter Verdacht geriet, homosexuell zu sein. Tatsache ist, dass Herr M. plötzlich verhaftet und nach Grumbach längere Zeit ins Gefängnis gebracht wurde. Ein Urteil wurde nie gefällt. Der verheiratete Mann erlitt dort einen gesundheitlichen Zusammenbruch. Man entließ ihn am 3. November 1937 nach Hause. Dort nahm er sich am folgenden Tag das Leben, indem er sich die Pulsadern aufschnitt.

Mehr als ein Verdacht, dass der verheiratete Mann homosexuell sei, lag nie gegen ihn vor.

Info

Das gleiche Schicksal ereilte zahlreiche Homosexuelle im „Dritten Reich“. Grundlage war der §175 (Strafgesetzbuch), der „Unzucht zwischen Männern“ – damit waren jegliche sexuelle Handlungen zwischen Männern gemeint- mit Gefängnisstrafe belegte.

Die Fahndung nach den „Missetätern“ spitzte sich im Laufe des NS-Regimes immer mehr zu. Ab 1935 musste ein Verdächtiger einen anderen Mann noch nicht einmal berührt haben! Es reichte aus, dass er das „öffentliche Schamgefühl“ verletzte. Es genügte, dass er die „Absicht“ gehabt hätte, sich einem Mann zu nähern. Niemand kann in den Kopf eines anderen sehen. Eine solche Absicht kann so leicht fast jedem unterstellt werden (siehe Ludwig M.).

Ab 1940 wurden Personen, die zweimal nach §175 bestraft worden waren, sofort in ein Konzentrationslager eingewiesen. Für diese Personen galt offiziell „Rückkehr unerwünscht“. Schon 1934 war eine gesetzliche Grundlage zur „freiwilligen“ Kastration homosexueller Männer geschaffen worden. Im KZ mussten Häftlinge, die auf Grund des §175 interniert waren, einen rosa Winkel tragen. Ab 1941 wurden Homosexuellenangehörige von Polizei und SS, und ab 1943 auch Zugehörige der Wehrmacht, mit der Todesstrafe bestraft. Während des „3. Reichs“ wurden 50 000 Männer auf Grund des §175 zu Gefängnisstrafen verurteilt. 5.000 bis 10.000 Personen wurden in KZs deportiert.

Erst 1968/69 wurde dieser Paragraph in der Bundesrepublik geändert. Somit erhielt bis dahin keiner der Verfolgten Anerkennung als Opfer des nationalsozialistischen Faschismus, sondern galt zusätzlich noch als vorbestraft.