Zwangssterilisierte

Zwangssterilisation: Hedwig F. – „Eine von 400.000“

Hedwig F. auf einem Schulbild
Hedwig auf einem Gruppenbild der Oberklasse der Volksschule Offenbach

Es waren keine einfachen Umstände, unter denen der gerade einen Monat alte Säugling 1924 nach Offenbach am Glan kam. Die Großeltern Philipp und Katharina F. hatten die kleine Hedwig in ihr Haus aufgenommen.

Nach der Niederlage Deutschlands im ersten Weltkrieg war Frankreich die ungeliebte Besatzungsmacht.  In Bad Kreuznach war eine französische Garnision untergebracht. Hedwigs Mutter fand dort eine Anstellung. Als Köchin hatte die Mutter Hedwigs Vater, einen Kapitän aus Südfrankreich, kennen gelernt. Sie wurde schwanger und gebar eine Tochter. Aber der Vater verließ sie bei der Geburt. Die ersten vier Wochen ihres Lebens hatten sich die französischen Offiziere an der Arbeitsstelle ihrer Mutter um das Baby gekümmert. Dann schickte die alleinerziehende Mutter ihr Kind zurück in ihren Heimatort: Offenbach am Glan. Die Großeltern zogen Hedwig „wie ihr eigenes Kind“ in ihrem Haus nahe der katholischen Kirche auf. „Ich war sehr glücklich“. Nach deren Tod kam auch ihre Mutter zurück nach Offenbach.

Sie versuchte als Alleinerziehende sich und ihre Tochter mit Kochen und Putzen mehr schlecht als recht durchzubringen. Beide zogen in eine kleine, kaum zwei  Zimmer große Mietwohnung in der Hinterau. Die Mutter arbeitete unter anderem im Haushalt des jüdischen Viehhändlers Albert Roos, der in der Klosterstraße 1 lebte. Der sechzigjährige Mann wohnte dort zusammen mit seiner sehr alten, geistig verwirrten Mutter. Hedwig ging in die Ev. Volksschule in der Hauptstraße. Das Klassenfoto zeigt ein eher zart gebautes, glückliches Mädchen mit dunklen Haaren, das sich durch seine etwas dunklere Hautfarbe von den andern unterschied.

Das ‚Dritte Reich“ begann. Und mit ihm wuchs auch hier in manchen verblendeten Köpfen Rassedünkel und Intoleranz. Opfer war auch die kaum dreizehnjährige Hedwig: Kein Vater in den Papieren eingetragen, alleinerziehende Mutter, die dazu noch bei einem Juden schaffte; ein Kind eines südfranzösischen Offiziers und so südländisch aussehend…

1937 musste ihre Mutter Hedwig auf einer Bahnfahrt begleiten. Das dreizehnjährige Mädchen wurde in einer Klinik in Ludwigshafen „aufgenommen“.  Sie kann sich 75 Jahre später an viele andere Mädchen erinnern, die ebenfalls aus dem gleichen Grund dort waren. Über den Zweck der Operation sprach mit ihr niemand. Als die Wunden abgeheilt waren, durften Mutter und Tochter wieder nach Hause. Über ihre „normalen“ Freunde von damals sagt sie: „Die anderen wussten das bestimmt, aber niemand hat offen mit mir geredet.“

Erst Jahre später erzählte ihr die Mutter, dass sie zwangssterilisiert worden war. Aber selbst die Mutter wusste nicht, wer in Offenbach die Sterilisation befohlen hatte.