Kriegsverwundete

Otto Thiel: „Ein richtiger Kirchenmusiker“ mit großem Pflichtbewusstsein

Sein rechtes Ellenbogengelenk durch einen Schuss zertrümmert. Die entzündete Wunde schmerzte furchtbar. So lag  er 1941 im Lazarett. Vor wenigen Monaten war die deutsche Wehrmacht in die Sowjetunion eingefallen Ein Militärarzt sagte, nur eine Amputation könne sein Leben retten.

Vor kurzem war er nach als „Melder“ bei der Belagerung von Leningrad (heute St. Peters-burg) eingesetzt. Er sollte Nachrichten zu der Front bringen. Auf dem Rückweg geriet er in eine Gruppe russischer Soldaten. Dann hat‘s ihn am Arm erwischt.

Nein, auch wenn es sein Leben kosten sollte, auf seinen Arm wollte er auf keinen Fall verzichten. Das setzte er sogar gegen den Militärarzt durch. Schließlich wurde er über ein Lazarett in Königsberg in das Lazarett von Bad Kreuznach verlegt. Eine Operation reihte sich an die andere. Wie durch ein Wunder wurde er gesund – aber der rechte Ellenbogen und zwei Finger blieben steif. Furchtbar für den ältesten Sohn einer Schusterfamilie, der schon in seinem Heimatdorf im Sudetenland seit fünf Jahren der Organist war und Musik studieren wollte.

Im Militärkrankenhaus von Bad Kreuznach lernte er die junge Lazarettschwester Helene kennen. Beide heirateten und Otto Thiel begann eine Ausbildung als Lehrer. Seine erste Lehrerstelle hatte er in Thalgau bei Salzburg angetreten, wo auch die beiden ältesten Kinder geboren wurden. In seine alte Heimat im Sudetenland konnte die junge Familie wegen der Vertreibung nach dem Krieg nicht zurückkehren. Beide zogen nach Medard in die alte Schule in der Hauptstraße, wo er Schulleiter der evangelischen Volksschule wurde. Neun Kinder wurden ihnen geboren.

Otto Thiel leitete den Männergesangverein und organisierte einen Kammermusikkreis. Für seinen Ort setzte er sich in Presbyerium und Gemeinderat über Jahrzehnte ein. In den sechziger Jahren wurde die Volksschule Medard geschlossen. Als Familienvater einer elfköpfigen Familie und seinen vielen Ehrenämtern fand er dennoch die Zeit, Ergänzungsprüfungen für das Lehramt der Realschule zu absolvieren. Noch als Fünfzigjähriger stellte er sich einer staatlichen Prüfungskommission.

Am Gymnasium Lauterecken hielt er zwei Jahre länger Schule als gefordert. 1949 zog sich die Frau von Pfarrer vande Loo (siehe hier) vom Organistendienst zurück. Und er, der Kriegsversehrte mit steifen Ellenbogen und den noch drei intakten Fingern an der rechten Hand übernahm diesen Dienst. Fünfzig Jahre später waren diese Worte über ihn inder Lokalzeitung zu lesen: „großes En-gagement“, „mit eiserner Willenskraftund Fleiß in Medard“ und davon, dass er „mit seinen fast 79 Jahren in jedem Gottesdienst auf „seiner“ Orgelbank“ säße.

Otto Thiel erzählt: „Nach meiner Verwundung, wo alles zerstört war, habe ich ein halbes Jahr geweint und dann habe ich mir gesagt: „Du musst es wieder anpacken!“ „Suchet der Stadt Bestes in die ich euch habe wegführen lassen“, schrieb der Prophet Jeremia an die aus Jerusalem Vertriebenen (Jer.29,7). Pfarrer Peter Fett Medard notierte 1999 über Otto Thiel: „Wie von allem Anfang an „sucht“ Herr Thiel heute immer noch mit allem, was in seinen Kräften steht, der Stadt Bestes!“ Als Zweiundachtzigjähriger starb er 2003 . Er wurde von seinen Söhnen zu Grabe getragen.